Covidnachwirkungen Tag 23
Am Freitag war ich das erste Mal wieder „draußen“. Heißt - weiter als kurz auf die Terrasse, um dann vor Erschöpfung zusammenzubrechen. Ich war beim Orthopäden, konnte mich einmal von oben bis unten wieder geraderuckeln lassen und es ging mir danach zumindest von den Sturzfolgen und den Muskelverspannungen deutlich besser als vorher.
Der Rest ist nach wie vor eine Katastrophe. Die Nasennebenhöhlen sind immer noch zu, ich habe jeden Tag Zahn- und Gelenkschmerzen, am letzten Wochenende war ich mitten in einem Gichtschub, obwohl ich nichts außer Kartoffeln und Eiscreme esse. Ich rieche und schmecke nichts. Mein Gehirn scheint sich deutlich zu regenerieren, meine Laune und seelische Allgemeinverfassung auch, die Hoffnungslosigkeit erwischt mich meistens nur noch abends und nachts.
Libido hängt bei mir anscheinend existentiell am Geruchssinn, solange ich nichts wahrnehme, komme ich geistig und körperlich nicht mal in die Nähe dieses Themas. Das belastet vor allem mich außerordentlich. Der eingebildete Ammoniakgestank ist verschwunden und dem intensiven Aroma von verbranntem Plastik gewichen - wahlweise Essen oder Menschen „riechen“ für mich manchmal danach. Ich habe inzwischen gelernt, wahrzunehmen, wo ich auch ohne riechen zu können bestimmte Gerüche fühlen kann. Ich spüre an der Haut, dass gekocht wird, ich kann die Öfen der Nachbarn draußen am Kratzen im Hals „riechen“, die Kinder hinterlassen eine Wärmespur, die ich früher nie wahrgenommen habe.
Aber unterm Strich hasse ich alles an diesem Zustand. Vanille geht immer noch, mein Lichtblick und ein Feuerwerk im Gehirn, so dass ich in den ganz trostlosen Momenten am Backschrank stehe und weinend am Glas mit den Vanilleschoten schnuppere.
Zwei ganze Sinne, einfach weg.
Covidnachwirkungen Tag 13 - Freitag
Ich bin in einem desaströsen Allgemeinzustand, da möchte ich mir nichts vormachen. Zahnfleischbluten beim Aufwachen scheint der neue heiße Scheiß zu sein. Ich sitze hier und frühstücke ein weiteres Mal Pellkartoffeln, weil diese das Einzige sind, was ich nicht schmeckend im Mund beim Essen einigermaßen gut ertragen kann. Eiscreme geht auch noch, die esse ich aber abends, wenn der Hals maximal weh tut. Einiges Tierisches hat nach wie vor intensiven Ammoniakgestank und der Rest verschwindet in der geruchlichen Versenkung. Manche Gerüche nehme ich als existent wahr, ich kann sie aber nicht riechen. Es ist gruselig faszinierend. Parfum nehme ich als "vorhanden" wahr, ich rieche es aber nicht. Ich kann sagen, dass jemand kocht, aber es scheint irgendeinen anderen Sinn zu kitzeln als den Geruch.
Für ein Raubtier ist das schon eine ziemlich schwache Leistung, sollte man doch denken, dass einige Inhalte eigentlich immer irgendwie Alarm im Gehirn auslösen sollten, aber auch da muss ich passen. Ich stecke meine Nase inzwischen in Dinge, die die anderen aus 5 Meter Entfernung schon als viel zu intensiv wahrnehmen und es passiert exakt gar nichts.
Was ich nach wie vor deutlich rieche, ist Vanille.
Apex Predator eben.
Covidnachwirkungen Tag 12 - Donnerstag
Davon aufgewacht, dass ich den Mund voller Blut habe. Nach dem Übergeben festgestellt, dass ich im gesamten Mund aus dem Zahnfleisch blute. In einer Stärke, die an starkes Nasenbluten erinnert. Eine halbe Stunde später war der Spuk vorbei, es bleiben pochende Zahnschmerzen. Der Husten ist wieder schlimmer geworden, der Allgemeinzustand im Gesamten aber eigentlich besser. Immer noch wochenbettähnliche Periodenblutungen ohne Pause. Bin erschöpft davon, zuzusehen, wie die anderen nach überstandener Erkrankung einfach wieder in den Alltag wechseln.
Covidnachwirkungen Tag 11 - Mittwoch
Deutliche Verschlimmerung. Müde, mutlos. Kalt. Innen wie außen.
Covidnachwirkungen Tag 10 - Dienstag
Die Träume bringen mich um. Sie sind zu lebendig, zu echt, zu nah an Erinnerung und Erleben, als dass ich sie morgens beiseite legen könnte, damit sie verblassen. Ich wache auf, fahrig, verzweifelt, voller Schmerz und Seelenpein, weil das, was ich träume, nicht von der Realität zu unterscheiden ist. Ich muss mich versichern, dass sie noch alle da sind, dass ich unversehrt im Bett liege statt wieder irgendwo angeschnallt zu warten, was mit mir gemacht wird, dass ich sicher und warm und behütet bin und dass sie alle tot sind. Es braucht seine Stunden im Hier und Jetzt, bis ich mich nicht mehr in Agonie krümme, sondern den Neocortex mit so vielen Eindrücken gefüttert habe, dass er wieder die Kontrolle übernimmt und mir glaubt, dass das alles 30 Jahre und nicht 30 Minuten her ist. Es ist anstrengend und ich bin müde und zu Tode erschöpft. Ich habe schon so lange nicht mehr auf diese Art geträumt.
Covidnachwirkungen Tag 9 - Montag
Der Test ist negativ. Mein Körper scheint da grundlegend anderer Meinung zu sein, denn es wütet nach wie vor schmerzhaft in mir, auch wenn ich weiter Besserung fühle. Das nächste Kind ist krank und ich mache mir ein weiteres Mal Sorgen. Wenn wir nur nicht alle so vorbelastet wären. Herz, Lunge, Immunsystem. Ich kann nur hoffen. Ich erinnere mich gut an gestern und ich erinnere mich seit einer Woche an das erste richtige Lachen am Abend. Liebe Menschen tun ohnehin das ihre, dass ich zumindest in den Stunden Discord am Abend alles andere zur Seite schieben darf, aber gestern überwiegten nicht die Schmerzen beim Sprechen und die Angst, dass jederzeit der Husten kommen kann, sondern die Leichtigkeit und der Spaß. Für mich das deutlichste Zeichen dafür, dass es bergauf geht. Ich rieche und schmecke nach wie vor nichts, die Periodenblutungen erinnern mehr an Wochenbett als an normale Menstruation, die Atemwege sind heute deutlich freier.
Covid Tag 8 - Sonntag
Heute vor einer Woche um diese Zeit erlag ich noch dem Größenwahn, dass so viele Leute von "wie ein leichter Schnupfen" sprechen, dass es mich vielleicht auch verschonen würde. Und bei allem, mit dem ich mich herumschlage, bin ich mir dessen bewusst, dass ich medizinisch gesehen einen sehr milden Verlauf habe. Ich weiß das und bin dankbar, zuhause sein zu können. Für den Rest ... bin ich vielleicht nicht allzu dankbar. Ich glaube, ich bessere mich. Der Husten geht zurück, die Nasennebenhöhlen pochen nicht mehr bei jedem Schritt. Dafür sind die Magen-Darm-Koliken auf einem armseligen Höhepunkt und ich weiß manchmal nicht, wie ich mich währenddessen überhaupt noch aufrecht halten soll. Gelenk-, Zahn-, Glieder-, Kopfschmerzen heute wieder aus der Hölle. Schwindel und Kreislaufprobleme. Konzentrationsprobleme. Schwächegefühl. Angst, Panikattacken. Ich hatte die Woche über das Gefühl, dass meine innere Aggressivität massiv zugenommen hat. Keine Genervtheit, keine Wut, sondern dass meine innere Hemmschwelle für echte Aggressivität massiv sinkt. Das erschreckt mich. Der Mann hat mir erzählt, dass ich ihn am Montag unangemessen intensiv für eine Banalität angegangen sei - ich erinnere mich an nichts davon. Dieser ganze Komplex, wie das Virus anscheinend jeden Bereich des menschlichen Seins beeinflussen kann, schockiert mich zutiefst. Ich hab wirklich schon unendlich viele Krankheiten und Verletzungen in meinem Leben ausheilen müssen - nichts davon ist irgendwie vergleichbar.
Covid Tag 7 - Samstag
Die Nacht war bislang die erholsamste - mit Abstand. Nur ein richtiger Hustenkrampf mit Übergeben, ansonsten nur ein paar Hustenanfälle, aber ohne Atemnot und ich konnte danach einigermaßen gut weiterschlafen. Die lebhaften Träume halten an, die Schmerzen werden insgesamt langsam etwas weniger. Das Gehirn scheint sich weiter zu erholen, ich kann Gespräche von gestern Abend wiedergeben und erinnere mich an das meiste, das gestern passiert ist. Nachdem ich vorgestern versucht habe, ein Buch zu lesen und nach einer Viertelstunde aufgegeben habe, weil ich den Inhalt der ersten Seite nicht erfassen konnte, habe ich gestern Abend gehäkelt und der Automatismus von 43 Jahren häkeln greift zwar, es ist aber unfassbar anstrengend und nötigt mir echte Konzentration ab. Der beißende Gestank nach Ammoniak geht immer noch von allem aus, was tierische Bestandteile hat, ich rieche und schmecke nach wie vor nichts bis auf eine Ausnahme: Ich kann Vanille riechen. Ich bin müde und kraftlos und verliebt in die Idee, etwas zu essen, was lecker schmeckt.
Covid Tag 6 - Freitag
Ich bin wacher. Was gestern als undifferenziertes Gefühl begann, manifestiert sich heute in Gewissheit. Ich denke wieder schneller, ich muss die Worte nicht erst mühsam aus Kisten kramen, ich kann wieder besser formulieren und auch kommunizieren. Trotzdem bewegt sich nach wie vor alles in Zeitlupe statt Echtgeschwindigkeit. Der Verlust von Geruch und Geschmack ist hart. Es ist, als würde der Welt ein grundlegender Baustein fehlen. Der von niemandem sonst wahrzunehmende Ammoniakgestank hängt nach wie vor über allem, was tierischen Ursprungs ist. Der Husten ist noch mal fester geworden, die Krampfanfälle schlimmer, es löst sich nichts mehr. Dreimal musste ich in der Nacht wieder 20 Minuten einfach nur am offenen Fenster stehen und versuchen, zwischen den Husten- und Würgeanfällen einigermaßen ruhig zu atmen ohne panisch zu werden. Zum draußen schlafen ist es leider zu kalt, die Temperatur fiel empfindlich unter die Grenze, bis zu der ich krank draußen schlafen kann. Nasennebenhöhlen unverändert, Kopfschmerzen eher hämmernd als stetig, Magen und Darm liefern noch das volle Programm. Ich bin müde. Müde und unendlich erschöpft. Alle Muskeln tun weh, der Nacken ist komplett steif und verspannt, ich kämpfe mit Kreislaufproblemen und starken Schwindelanfällen.
Covid Tag 5 - Donnerstag
Der Morgen beginnt mit starker Übelkeit, Erbrechen, Hustenkrämpfen und dem Gefühl einfach nicht mehr zu können. Ich schlafe zu wenig, ich kann nicht gut atmen, mein extrem gut ausgeprägter Geruchssinn ist einfach weg und ich kann Mann und Kinder und die Tiere und mein geliebtes Draußen und alles, woran ich mich im Alltag orientiere, einfach nicht mehr riechen. Ich möchte mich zusammenkauern und weinen, aber das löst einen weiteren Hustenkrampf aus, also lasse ich das. Denken geht heute anscheinend deutlich besser, dafür spricht, dass ich angefangen habe, es hier aufzuschreiben und die letzten Tage nachzulesen, was überhaupt passiert ist. Kopfschmerzen verstärken sich bei Bewegung, Zähne tun nur noch beim Husten weh, ich huste nach wie vor weißen Schaum, was irgendwie eklig ist. Der Hals ist blutig und wund, Puls mit Betablockern bei 110, Sauerstoffsättigung bei 96%, auch wenn es sich beim Atmen nicht so anfühlt. Ich müsste was essen, aber ich schaffe es gerade noch nicht, Dinge, die ich weder riechen noch schmecken kann, einfach runterzuschlucken. Alles an dieser Krankheit triggert massiv Trauma und Erlebnisse von früher, ich versuche einfach irgendwie die Zeit totzuschlagen.
Seit 13 Uhr "riecht" alles, was tierischen Ursprungs ist oder tierische Bestandteile enthält, nach Ammoniak. Das ganze Haus stinkt und als der Mann für die Kinder gekocht hat und dabei Fleisch zubereitet hat, fühlte es sich an, als hätte man mir Säure in die Nase gegossen. Das Gehirn fühlte sich insgesamt tatsächlich etwas wacher an. Ich kann trotzdem kein einziges heute geführtes Gespräch vernünftig wiedergeben. Periodenlutungen haben deutlich zu früh in ungewöhnlicher Stärke eingesetzt, etwas, das schon nach den Impfungen passiert ist.
Covid Tag 4 - Mittwoch
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Magenkrämpfe, Erbrechen, Darmkoliken sind meine neuen Freunde. Husten ist inzwischen krampfartig geworden, ich bekomme immer schlechter Luft, die Nasennebenhöhlen sind zu, jede Umlagerung oder Bewegung tut weh, löst Husten oder Atmennot aus. Der Kopf hämmert vor Schmerzen, ich bin gereizt und habe das Gefühl, ich bekomme wieder mehr von meiner Umgebung mit. Der größte Indikator dafür ist, dass ich am Mann herummeckern kann, eigentlich immer ein Zeichen für Besserung, wenn nicht mehr alles gleichgültig an mir vorüberzieht. Ich habe Ganzkörpermuskelkater vom Husten. Im gesamten Unterkiefer schmerzen alle Zähne wie bei starken Zahnschmerzen. Wortfindungsstörungen. Blasse Erinnerung an soziale Interaktionen. Um 19 Uhr noch darüber nachgedacht, wie lecker der Muffin schmeckt, drei Stunden später sind Geschmackssinn und Geruchssinn verschwunden. Auch starke Reize kommen nicht mehr im Gehirn an.
Covid Tag 3 - Dienstag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Der Dauerkopfschmerz weicht einem migräneartigen Stechen im Kopf. Es ist bei Husten kaum auszuhalten. Die Hustenanfälle werden intensiver, ich kann nur noch draußen einigermaßen ruhig atmen. Zum Glück haben wir kühle und feuchte Luft, etwas Nieselregen, ich schlafe jetzt auch nachts draußen. Große Probleme mit Atemnot beim Aufstehen oder Bewegen. Ich friere ununterbrochen. Am Abend habe ich so viele Medikamente im Körper, dass ich wieder rudimentär denken kann, das Baden war aber definitiv zu anstrengend für den Körper, aber ich habe eine halbe Stunde nicht gefroren oder gehustet. Ab dem späten Abend kommt Erbrechen hinzu. Ich habe keine Erinnerung an jegliche zwischenmenschliche Interaktion an diesem Tag.
Covid Tag 2 - Montag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Laut WhatsApps und Spiellogs kann ich sehen, dass ich mehr oder minder den ganzen Tag gespielt habe. Zwischendurch habe ich draußen geschlafen und was gegessen. Husten und Schnupfen, starke Gelenkschmerzen, ich weiß nicht mehr, was den Rest des Tages hier passiert ist. Keine Erinnerung an Interaktionen mit anderen Menschen, nichts.
Covid Tag 1 - Sonntag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich morgens erst negativ getestet habe, nach über einer Stunde war der Hauch einer Linie zu erkennen, bisschen Husten. Ich habe den Besuch verabschiedet, der Rest des Tages liegt im Dunkeln. Auf Social Media und WhatsApp kann ich sehen, dass ich im Laufe des Tages mit Menschen interagiert habe, ich erinnere mich an nichts davon
Ich bin zum ersten Mal überhaupt positiv, bin dreimal geimpft, gehöre gleich in mehreren Kategorien zur Risikogruppe.
Allein
Seit über 5 Monaten mit immer mindestens einem weiteren Menschen im Haus bin ich heute zum ersten Mal wieder allein. Und schon um 5 Uhr heute Morgen hüpfte mein Herz aufgeregt, ob es wohl heute alles klappen würde oder ich mich wieder umsonst gefreut hätte. Es ist ein anderes Allein, als wenn der Mann mal kurz die Kinder mit zum Einkaufen nimmt oder sie für eine Stunde beim Arzt sind. Es ist ein echtes Allein, Eines, das nur mir gehört. Kein Geborgtes, kein Geschenktes, kein künstlich Herbeigeführtes, sondern genau jenes, welches ich so dringend benötige, um die Zügel locker zu lassen.
Die Verkrampfungen im Nacken und in den Schultern sind kaum noch zu ertragen, die Aussicht auf den Termin in der nächsten Woche lässt weder Gedanken noch Körper zur Ruhe kommen.
Der Mann und ich haben es uns in den letzten Wochen in einer Blase gemütlich gemacht, die all das ausblendet, was mich nicht schlafen lässt und vielleicht lache ich nächste Woche darüber, weil das so unnötig war. Wenn nicht, kann uns diese Zeit niemand mehr nehmen. Es kommt, wie es kommt.
Der große Sohn hat mich in dieser Zeit viel Langmut gelehrt. Es ist speziell, gerade ihn zu begleiten, sind seine Bedürfnisse und sein Tempo doch so anders als dass mir es jemals vertraut werden würde. Immer einen Schritt vor und dann aus Angst wieder zwei oder mehr Schritte zurück. Warten. Erstarren. Warten. Irgendwann dann wieder ein zaghafter Schritt vor und gleich wieder zurück das Ganze. Bis er lange genug in seinem Kokon gegrübelt und ausgeharrt hat, dieser überraschend über Nacht zu eng wurde und der Sohn sich einem Schmetterling gleich herausschält und seine Flügel ein weiteres Mal ausbreitet. So glücklich mich das macht, so nervenaufreibend ist es, diesem Prozess beizuwohnen.
Mit der damit verbundenen Entspannung kommt das Gefühl wieder an die Oberfläche.
Ich habe Angst vor der Gewissheit.
Ich habe Angst, dass sich nächste Woche unser gesamtes Leben für immer verändert.
10 Jahre
10 Jahre sind es heute und es ist nach wie vor die schmerzhafteste Lektion unseres gemeinsamen Lebens. Mein Gott und mein Glaube haben mich damals verlassen und es war mühsam, mit dir durch das Scherbenfeld zu humpeln, vor dem wir plötzlich standen. Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Und trotzdem möchte ich der damaligen Schwärze in mir zuflüstern: "Es wird. Und es wird gut." Gleichzeitig bin ich froh, den Weg nicht gekannt zu haben, der uns hierher geführt hat. Ich weiß nicht, ob ich daran geglaubt hätte, die Kraft dafür zu besitzen.
50
Fünfzig. Uff.
Das ist eine große Zahl.
In unser beider Köpfen sind Menschen mit 50 Jahren irgendwie weit weg von unserer Lebensrealität und wir haben gefühlt noch mindestens Jahrzehnte, bis wir in dieses Alter kommen. In innigen Momenten schwebt manchmal der Gedanke an ein weiteres Baby zwischen uns und das ist nichts, das im Rahmen des Unmöglichen liegen würde. Gleichzeitig sind wir auf dem Weg zu Großeltern und diese beiden Welten sind manchmal schwer überein zu bekommen.
Ich habe dich kennengelernt, als du 30 warst und der Mann von damals ist mir auf Bildern vertraut und lieb, aber auch so weit weg wie ich mir das nicht hätte vorstellen können. Der rundliche Junge von damals ohne Ecken und Kanten, in Ablösung begriffen und noch so verdammt unreif in all seinen Werten und Moralvorstellungen hat auf den ersten Blick nichts mehr mit dem Mann zu tun, der du geworden bist.
Ich blättere durch die Jahre und sehe deine Ent-wicklung.
Manchmal denke ich, dass du dich innerhalb unserer Beziehung durch eine Häutung nach der anderen kämpfst und ich weiß nur zu gut, dass das ein schmerzhafter Prozess für uns beide ist, dem viel innerer Kampf vorausgeht.
Diese deine Häutung ist ein repetitives Abschälen von Gewohnheiten, Vorstellungen, Ansichten und nicht zuletzt auch Körpermasse. 40 Kilo sind im Laufe der Jahre weggeschmolzen und haben dein reifendes Innen auch aufs Außen projiziert. Du bist heute trotz aller Einschränkungen in der besten und gesündesten Form deines Lebens.
Der lüsterne Satyr ist von einem erfahrenen Mann gezügelt worden, der seine grenzenlose Potenz in sehr kontrollierte Bahnen lenken kann und unser beider Verlangen mit allen Sinnen auskostet. Du bist von mir besessen und scheust dich nicht, diesen Umstand auszusprechen und in unserem Alltag lebendig zu halten.
Ich weiß, dass ich alles von dir haben kann. Trotz und wegen dieses Umstandes bist du mir immer meine höchste moralische Instanz, denn du schuldest mir und dir letzten Endes nur die Wahrheit.
Du bist der Mann meiner Träume, mein Gefährte, mein bester Freund, mein Liebhaber, mein Verbündeter, mein Vorbild, mein Fels und meine Hoffnung.
Gemeinsam sind wir ein Ganzes.
Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, mein dunkler Engel.
Leise
Stunden voller Zärtlichkeit.
Unsterblich in Erinnern und Fühlen, egal was kommt.
Intimität
Wahre Intimität ist nicht die Art von Nacktheit, für die ich sie früher hielt.
Sie blickt so viel tiefer.
Sie ist die Umarmung mitten in der Nacht, wenn jedes Wort zu viel wäre.
Sie ist das Wissen um all unsere Schwächen und die Akzeptanz dessen, was man sieht.
Sie ist Vergebung und Nachsicht gleichermaßen.
Sie ist das Werben um das, was man schon besitzt. Nie vergessend, welche Kostbarkeit man in Händen hält.
Sie ist der Blick auf das, was jedem anderen verborgen bleibt. Die rohe und hässliche Fratze eines jeden Menschen wertungsfrei sehen könnend und trotzdem nicht zurückzucken.
Wahre Intimität findet dort statt, wo sich zwei Menschen trotz des Wissens, dass ein falsches Wort in dem Maße verheerend wäre, dass es nicht wiedergutzumachenden Schaden anrichten würde, in vollem Vertrauen darauf, dass ebendies nicht geschieht, verwundbar einander öffnen.
Sie ist die Blöße, die man sich erlaubt, um einem anderen Wesen einen Blick auf die eigene Seele zu ermöglichen.
Die Angst, die damit einhergeht wird gespeist aus der Fatalität, die jede Verwundung verursachen würde.
Hier ist kein Platz für Kampf. Nicht für Spiel, nicht für Koketterie, nicht für Ego.
Nur Offenbarung, Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Glaube.
Shot by my own gun
Last breathe, looking at you walking away
You took everything I had just to get played
Angel of death, why you looking so sweet?
I was a fool to tell you everything
You shaking with the words I gave
Turning back on me
Cold of steel on the trigger you hold
Where's the man that I used to know?
Well, you shot me down with my own gun
Now my heart is bleeding while you're on the run
Yeah, you got what you wanted, now the deal is done
Never thought that I would be the one...
Sommerferien
Ein Tag, der damit beginnt, dass das Kind, das sich mit sozialen Interaktionen schwer tut, vor meinem Bett steht, was ohne Anklopfen per se schon nur im Notfall passieren darf, mich dann aber auch noch eindringlich fragt, ob der Mann arbeitet und das dann auch schon der gesamte Gesprächsinhalt gewesen sein soll, während ich mühsam versuche, meine Aggressionen in den Griff zu bekommen und mich auf meine Rolle als Mutter zu besinnen, kann ja im Grunde nicht sehr gut weiterlaufen. Und prompt setzt die selbsterfüllende Prophezeiung Migräne als das Mittel ihrer Wahl ein, die mir nur noch ein kleines Fenster Zeit lässt, mich irgendwie zum Medikamentenschrank durchzukämpfen. Auf dem Weg dahin plaudernde große Kinder, die früh wach und grausam motiviert sind, gemeinsam Sport zu treiben. Ich sehe das große Kind erstmals wieder seit Wochen seinem schwarzen Sumpf ensteigen und wenngleich es nicht Aufgabe der kleinen Schwester sein darf, ihn da rauszuholen, ich bin gerade einfach dankbar, dass es sich jetzt so ergeben hat. Ich kenne die Unsicherheiten und Ängste, die er kultiviert und in einer Familie voller Menschen, die einfach anpacken, was sie sich vornehmen und dann auch erfolgreich sind, ist sein Standpunkt vermutlich der Schwerste. Und so oft ich mich bemühe, in leichter Sprache zu bleiben, alles runterzubrechen, immer meinen eigenen Anteil zu verstecken - er sieht mich ja mit seinen Geschwistern - erlebt das intellektuelle PingPong, die andere Sprache, die andere Humorebene, die Themen, mit denen er nichts anfangen kann und ich sehe den Frust, nichts verstehen zu können, so sehr er sich auch bemüht. Und in einer Welt, die Menschen wie die Kriegerin und den Butz hofiert, weil sie intellektuell nicht nur der Norm entsprechen, sondern das augenscheinlich wertvollste Gut dieser Gesellschaft - intellektuelle Leistungsfähigkeit - mit der groben Kelle zugeteilt bekommen habe, hat er es doppelt und dreifach schwer. Die Jahre Schule haben ihre Spuren hinterlassen.
Der Wert, den er verzweifelt sucht, liegt schon in ihm. Und er sieht es noch nicht. Es macht mich hilflos, als Mutter daneben stehen und zusehen zu müssen, wie er gegen die Wände anrennt, die für ihn gar nicht relevant sind. Es könnte alles so einfach sein.
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Sehnsucht
Manchmal willst du nur jemanden, der so sehr in seiner Intuition ruht, dass er dir die Maske vom Gesicht reißt - jemanden, der nicht zurückweicht, wenn er die hässliche Fratze dahinter sehen kann. Der nicht zurückschlägt, wenn ich austeile, ein Fels, der standhält, stoisch, gleichmütig, nicht weich, sondern hart wie Beton, gegen den ich so lange anstürmen kann, bis ich verletzt und erschöpft zu Boden sinke und keine Mauer mehr steht und die Tränen endlich laufen dürfen, weil da nichts mehr ist, was sie zurückhält. Jemanden, der mein gesamtes Denken ausschaltet, weil ich darauf vertrauen kann, dass er führt, dass er das Geschrei in meinem Kopf verstummen lässt. Das Geschrei, die Panik, die ständige Kontrolle, das obsessive Regelwerk, die Rituale, die Beständigkeit, das Stahlskelett aus Disziplin und Kontrolle über alles, was Emotion ist. Der die darunter liegende Verzweiflung aushalten kann und der mich trägt. Diesen zerflossenen Haufen Mensch, der ich einmal werden sollte und der nie die Chance bekommen hat, in einem anderen Modus zu existieren als im Überleben.
Stumm
Ich habe überlegt, sie anzurufen. Es ist lange her, dass wir gesprochen haben und das hat Gründe. Sie versucht nach wie vor einmal im Monat mit mir zu sprechen - ich sehe ihre Nummer auf dem Display und überlege mir jedes Mal stumm, ob ich in meine Tiefen hinabsteigen will und die Antwort der letzten eineinhalb Jahre war immer nein. Jetzt gerade locken sie.
Ich blocke alles, was tiefer als Oberfläche geht und ich bräuchte so dringend jemanden, der mich in meiner ganzen Schwärze sehen kann. Der mich spürt, der mich spiegelt, der es aushalten kann, Echo meines Schmerzes zu fühlen. Authentisch. Jemanden, der selber auf diesen Pfaden wandelt.
Um mich herum sind pragmatische Menschen, Intellektuelle, Emotionsverhärtete, die, die nicht können oder nicht wollen, weil sie diesen Teil ihres Innern nicht preisgeben. Das hilft mir nicht.
Also bewahre ich ein Geheimnis, bis ich es so lange gefühlt habe, dass ich ihre Reaktionen ertragen kann, die im Gegensatz zu dem, was es für mich bedeutet, so enttäuschend rational sein werden, dass ich sie ein weiteres Stück hassen werde. Und damit das nicht die Liebe zerfrisst, die ich ebenfalls für sie empfinde, warte ich, bis ich damit umgehen kann.
Die letzten zwei Jahre und besonders die letzten 10 Monate haben mir einen guten Eindruck von dem vermittelt, was ich erwarten kann. Wer durch die Risse blickt und passende Momente findet, in denen ich sie weiter öffnen kann, ohne zu verzweifeln.
In seiner Gesamtheit ist es entmutigend und ich habe weitestgehend mit dieser Beziehungssache zu anderen Menschen abgeschlossen. Die Mauern, die ich aufgebaut habe, sind zu hoch. Die Hürden, überhaupt bis dorthin zu kommen, anscheinend unüberwindbar. Der große Traum ausgeträumt.
Jetzt muss ich nur noch einen Weg finden, mir einzureden, dass es sich lohnt, bis zum Ende zu bleiben.
Abnabelung
Ich bin nicht gut in dieser Abnabelungssache der Kinder. Ich vertraue der Welt zu wenig und die Angst flüstert ihnen anscheinend auch, selbst wenn es dafür vielleicht objektiv gesehen überhaupt keinen Grund gibt. Momentan ist es schwer, die Dinge einfach durch mich hindurchfließen zu lassen. Aber wer bin ich denn, dass ich Kritik üben würde, zu Zeiten, in denen man sich selber ausprobieren muss, in denen man dringend notwendige Fehler machen muss, weil sie nur zu diesen Zeiten machbar sind? Nur weil ich es besser weiß? Weil ich gegen dieselben Wände angerannt bin? Und was hätte mich aufgehalten? Nichts, ich weiß das wohl. Auch mit der Erfahrung drei weiterer Lebensjahrzehnte kann ich mich nicht hinstellen und den Finger heben, weil die Beziehung zu ihnen immer wichtiger sein wird als der vermeintliche Schutz, den ich ihnen damit angedeihen lassen wollte. Denn wieviel sind ungemachte Fehler wert? Nichts. Man fühlt den Schmerz nicht und man lernt nicht nachhaltig genug aus den Erfahrungen anderer. Das Leben kann nicht theoretisch gelebt werden.
Und so stehe ich hier und sehe wissend zu, wie der härteste Lehrer die Bühne betritt.
Wenn ich hoffen darf, ihnen auch nur irgendetwas mitgegeben zu haben, dann bete ich, dass es die Sicherheit ist, dass man nichts bereuen sollte, was man jemals nach bestem Wissen und Gewissen entschieden hat. Dass man eher Dinge bereut, die man nicht getan hat. Dass überraschende Chancen die Einladungen des Lebens sind, die man ohne Zögern mitnehmen sollte. Dass alles seine Zeit hat. Dass diese Zeit kommen wird. Und dass am Ende alles gut wird.
Desillusioniert
Vor einem Jahr war da dieses kleine Häuschen, das mich so anlachte. Perfekte Umgebung, direkt am Wald, Garten, zwar renovierungsbedürftig, aber ich dachte, da könne man ja ein gemeinsames Projekt draus machen, Geld würde schließlich zumindest temporär keine Rolle mehr spielen. Und weil das Leben eine ziemliche Schlampe in Bezug auf Träume ist, erfuhr ich in genau diesen Tagen, dass ich von etwas ausging, für das ich gar nicht eingeplant war. Menschen sind hedonistische Opportunisten und das Erbe meines Vaters hat mir das so nachhaltig vor Augen geführt wie es kein anderes Ereignis hätte tun können. Ich war nicht mehr Kati, ich war Plan B. Ich möchte für Menschen in meinem Leben allerdings nur Plan A sein. Ob mit oder ohne Geld. Ich weiß erst heute, wie utopisch dieser Wunsch war.
Worte
Wenn jede Diskussionen nurmehr in Schmerz und Hoffnungslosigkeit endet, dann verliert man seine Worte. Auch im Schreiben. Und obgleich das Schreiben mich in erster Linie im Oben hält, verbindet es mich mit all meinen unteren Ebenen, während sich Buchstaben zu Gefühl fügen. Ich versuche seit Wochen, den Wechsel zu erzwingen. Seit Tagen laufe ich mir die Seele aus dem Leib. Hoffe, wenn das Herz stolpert, wenn die Lunge keucht, wenn meine alten Programme aktiviert werden, kommt die Ablöse. Sie kommt nicht. Früher, ganz ganz früher dachte ich mal, dass man bei zu viel Schmerz ohnmächtig wird und der Körper dann automatisch abschaltet. Ich sollte schnell und nachhaltig lernen, wie viel ein Geist und eine Seele ertragen können, bevor der Körper aufgibt. Viel zu viel. Ohnmacht ist keine ernsthafte Handlungsoption. Sie kommt erst, wenn die Scherben schon auf dem Boden liegen. Manchmal kommt sie gar nicht. Und was bleibt, ist Hilflosigkeit gegenüber dem ersten und letzten Verräter meines Lebens: Dem Tod. Ich weiß nicht, ob er mich erst haben will, wenn ich ihn nicht mehr begehre oder ob er einfach gleichgültig gegenüber allen Dingen ist, wie es das Universum an sich mit uns auch hält. Worte. Ich wollte etwas über meine verlorenen Worte schreiben. Die Worte und Wörter, die ich erst wieder finden muss, weil sie im Alltag im Nichts verhallen. In der Verständnislosigkeit, die so allumfassend ist, dass ich kein Echo mehr fühle. Nicht in mir, nicht in meinem Gegenüber. Ich kann seit Monaten meine Akkus nicht mehr laden, weil ich keine Sekunde, keine Minute des Tages hier allein sein darf. Es ist nicht mehr vorgesehen, dass ich zur Ruhe komme. Und darum ziehen die Schultern nach oben, der Kopf geht in Deckung, ich kann nicht mehr schwindelfrei liegen, stehen, laufen, ich bestehe nur noch aus Schmerz, Angst und Verzweiflung. Ungesehen. Unverstanden.
Scheideweg
Mir gehts nicht gut.
19
Dieses Jahr fällt es mir schwerer, dir zu schreiben.
Wir haben die Hölle eines Jahres hinter uns.
Das letzte halbe Jahr hat uns beziehungstechnisch mehr abverlangt als all die Tiefen zuvor. Selbst die hilflose Schwärze von vor 10 Jahren verblasst daneben, weil wir gerade nicht in Schmerz und Hilflosigkeit nebeneinander verstummen, sondern weil wir aktiv und in aller Härte gegeneinander ankämpfen.
Wir lösen uns aus der Zeit der kümmernden Elternschaft, wir geraten mit unseren neuen Bedürfnissen und Beziehungsvorstellungen und Ansprüchen an die Gestaltung unseres bald erstmals zweisamen Lebens massiv aneinander, gegeneinander vor allem.
Diagnosen erleichtern alles und verändern nichts, habe ich vor nicht allzu langer Zeit geschrieben und bei Gott, ich hätte nicht falscher liegen können. Die Monate, in denen wir uns um dich und die Diagnose und um mich und die Hoffnungen gedreht haben, die ich nicht loslassen konnte, waren zermürbend für uns beide. Ich habe dir oft Unrecht getan und statt dir Halt und Sicherheit und Zuversicht zu sein, war ich ein weiterer Gegner, mit dem du es aufnehmen musstest. Ich bedaure dies zutiefst, auch wenn ich weiß, dass es mir anders nicht möglich war. Ich sehe aber, wie sehr du, wie sehr wir darunter gelitten haben, dass ich nicht über diesen Schatten springen konnte. Es tut mir leid um jeden Angriff, um jede Wut, um jede vergeudete Stunde, die wir uns gegenüberstanden, statt Seite an Seite die Herausforderung zu meistern.
Um Silvester herum eskalierte so ziemlich alles und nun, fünf harte Monate später entdecke ich eine neue Ruhe in unserem Miteinander. Auch und gerade wenn es um die Themen geht, die ich im November oder Dezember noch nicht mit dir besprechen konnte, ohne in Schmerz und Wut und Hoffnungslosigkeit zu ertrinken.
Wir verändern uns.
Vielleicht stehen wir uns so nackt gegenüber wie noch nie zuvor in unserer Beziehung.
Die letzten Mäntel des Schweigens wurden abgelegt, die rohe Wahrheit über uns, unsere Bedürfnisse und vor allem unsere Möglichkeiten liegen ungeschönt auf dem Tisch. Die Intimität, die daraus erwächst, ist enorm.
Unser seelisches, geistiges und körperliches Verlangen nacheinander ist ungebrochen. Das Wissen um die Unumstößlichkeit dieses Umstands ist vermutlich die Triebfeder, die uns weitermachen, weiterhoffen und weiterfunktionieren lässt.
Die unstillbare Sehnsucht nacheinander ist das, was uns über die Jahre auch durch dunkle Zeiten getragen hat.
Es ist egal, was mit uns passiert ist, in der Nacht ist da diese andere Hand, die immer die meine umschließen wird.
Und weil es ein sehr besonderes Beziehungsjahr war, möchte ich es mit einem stärkeren Bekenntnis als nur der Liebe abschließen:
Ich sehe dich.
Weiter, weiter?
Irgendwann
kommt der Tag, an dem ich das Weiter, weiter! in meinem Kopf einfach ignoriere
und stehenbleibe. An dem ich einfach nicht mehr weiter gehe, weil ich schon so
viele Jahre eigentlich nicht mehr kann. Irgendwann. Und es wird ein wohliges
Gefühl sein, weil ich meine Aufgaben hier erledigt habe und mich endlich zur
Ruhe begeben kann. Nie wieder etwas fühlen, nie wieder Schmerz, nie wieder
irgendetwas. Der Tod ist verlockend für Menschen wie uns. Ewiger Frieden.
Aber noch ist
es nicht so weit. Und so schleppe ich mich seit Wochen durch Nächte, in denen sich
der Suizid meines Vaters in Endlosschleife vor meinen Augen wiederholt. Mal bin
ich nur dabei, mal bin ich er, mal ist er ich, alles verschwimmt ineinander und
in dem Augenblick, in dem ich spüre, dass das Gift wirkt, ist der, in dem ich
aus dem Schlaf hochschrecke und lange Momente nach Luft ringen muss, mein
Gehirn verzweifelt kontrollierend, ob ich noch atmen kann, mein Herz noch
schlägt…
Die Tage sind
durchzogen vom Schmerz des Unverständnisses, das mir begegnet. All die Arbeit
scheint umsonst, wird klein geredet, nicht so nötig, eigentlich alles nicht so
schlimm, nicht so extrem, wie ich es darstelle, nicht so dringend, nicht so wild.
Die Suche nach Empathie scheint vergebens, vielleicht ist es auch einfach nicht
möglich, vielleicht muss ich einfach auch mal aufgeben können, um mich nicht
selber zu zerstören.
In Wut und
Schmerz und Trauer und Trauma habe ich eine schreckliche Fehlentscheidung getroffen
und habe mich hinreißen lassen, mich selbst zu verletzen. Fataler als geplant,
der Fuß ist hin und wie immer in diesen Fällen bestrafe ich mich mit dem
Schmerz für die Verletzung. Ich bin es nicht wert, geschont zu werden, es ist
nur gerechte Strafe, dass jeder Schritt mir durch Mark und Bein fährt, ich
wollte es so, selber schuld, trag die Konsequenzen. Und das tue ich. Und ich
merke jeden Vormittag, wie der Schmerz und die Kälte mich übermannen, ich nur
noch schlafen will, nach dieser schon nur so geringen Belastung, die ich mir
zumute - Gassi, einkaufen, Kinder betüdeln - ich zittere mich vor seelischer Erschöpfung
durch die erste Hälfte des Januars und habe dabei nur Verachtung für mich übrig.
Ich kann nichts, ich bin nichts, ich scheitere selbst
an der Liebe.
Mein geliebter dunkler Engel.
Wir befinden
uns zwischen den Jahren und leben und lieben uns intensiv durch diese Tage.
Volljährig,
habe ich im Mai geschrieben und das damals noch so naiv anders gemeint als ich
es heute fühle. Wer hätte gedacht, dass wir uns schon jetzt auf diese schwindelerregende
Fahrt begeben würden?
Ich nicht.
Ich habe wenn überhaupt, erst sehr viel später damit gerechnet.
Wir sind
hart aneinander geprallt die letzten Monate. Ich streife gerade die letzten
Reste des Harmoniebedürfnisses meiner fruchtbaren Jahre ab und wandle mich
nicht nur äußerlich, sondern vor allem innerlich zum Kern dessen, was mich
ausmacht.
Wir sind
längst nicht mehr so sehr daran gebunden, dass nur mein Operating System im
Alltag oben ist. Die Kinder sind selbständig und schon verdammt groß und das
erlaubt mir mehr Freiheiten, mich in Gänze entfalten zu können. Ich weiß, wie
schwierig das für dich mitunter ist. Ich weiß, wie hart ich dich mit dir selber
konfrontiere. Der Spiegel, den du mir in aller Liebe in den letzten Jahren so
oft vorgehalten hast, damit ich mich weiterentwickeln und finden kann, ruht nun in meinen
Händen.
Wann immer
ich dieser Tage auf deinen Rücken sehe - den schwarzen gefallenen Engel
betrachtend, der demütig und trotzdem unbeugsam dort kniet - verschwimmt das
Motiv mit dem Träger. Du hast wieder begonnen zu schreiben. Du hast dein
Mitleid für dich selber überwunden. Du stellst dich mir, jeder Konfrontation,
jedem Gespräch, jedem Schmerz.
Vor allem
dem Schmerz. Ich kenne keinen Menschen, der weniger zurückweichen würde als du
es tust, wenn es unangenehm wird.
Du hältst die Wahrheit aus, die wir uns geschworen
haben. Immer.
Ich weiß,
dass du nicht gut schläfst. Ich kenne die Gedanken, die dich umtreiben. Ich
kenne die Zweifel. Und ich weiß, dass ich oft grausam bin. Du willst nicht
geschont werden. Und das tue ich nicht.
Ich bete dafür,
dass wir eine Balance finden. Seit wir aus der Schwärze unserer Beziehung
wieder ans Licht geschwommen sind, arbeiten wir Tag um Tag daran, ein besseres
Ganzes zu sein als nur zwei Hälften, die zusammengefügt wurden. 10 Jahre sind
es nächstes Jahr und wir sind in diesem Prozess weiter gelaufen als ich jemals
für möglich hielt. Du hast mich so oft getragen, wenn ich nicht mehr weiterwollte.
Wenn ich keinen Sinn mehr gesehen habe in all dem Kampf gegen mich selbst, die
Schuldgefühle, die Last, die auf uns und unserer Erinnerung liegt.
Unsere
Beziehung war nie leicht.
Nie unbeschwert, nie frei von großer und schwerer
Verantwortung.
Der Wandel, den wir die letzten Monate erlebt haben, wäre vor 5,
10, 15 Jahren nie möglich gewesen.
Es ist wie es ist.
Es bringt nichts, das Was wäre gewesen wenn Spiel zu spielen.
Wir sind jetzt an dem Punkt, an den uns die gesamte Beziehungsarbeit der
letzten 18 Jahre getragen hat. Jedes Gespräch, jeder Streit, jede Zärtlichkeit,
jede Berührung, alle Liebe hat uns hierhin geführt. Und wir sind bereit für den
nächsten Schritt. Ich weiß das und ich glaube an uns, mehr denn je.
Ich liebe dich jeden Tag ein bisschen mehr als gestern und ich würde jeden
Tag schwören, dass ich dich nicht mehr lieben könnte als genau heute.
Die große
Diagnose, die für dich im Raum steht, treibt dich um. Mir schenkt sie Frieden.
Die Jahre, die seit dem ersten Verdacht vergangen sind, haben in mir einen
Prozess in Gang gesetzt, der mich mit vielem versöhnt. Ich sehe dich in unseren
Kindern, die ich anders auf ein Leben vorbereiten kann, in dem der Großteil der
Menschheit nicht ihre Sprache spricht. Ich versuche ihnen mehr Werkzeug in die
Hände zu legen als es deinen Eltern für dich möglich war. Ich möchte nicht,
dass sie das Potential ihres ebenfalls überragenden Intellekts nur dafür nutzen
müssen, zu funktionieren wie ihre Umgebung das von ihnen erwartet. Dir wurde so
viel Unrecht getan. Auch von mir. Gerade von mir. Das tut mir unendlich leid,
ohne dass ich wüsste, wie ich es hätte anders machen können.
Es ist wie
es ist.
Es wird wie es sein soll.
Das vollendete Bild
Etwas fehlte
noch. Ich konnte es nicht greifen, aber das Puzzle war noch nicht fertig.
Es
klaffte eine Lücke mitten im Bild.
Und als ich mit
den Kleinen auf dem Weg zum sehr großen Kind im Auto saß und nach hunderten von
Kilometern den charakteristischen Berg hinauffuhr, hinter dem sich die Abfahrt
zu dem Heimatort meiner Jugend befand, traf ich eine Entscheidung.
Wie unendlich vertraut
die Straßen waren, die Gebäude, alles. Mein Spiegel auf dem Beifahrersitz fragte
besorgt, ob alles in Ordnung sei, kaum dass wir den ersten Ort durchquerten.
Ich antwortete nicht. Die kurvige Strecke durch die Weinberge, so viele prägnante
Orte, so viele Erinnerungen, die mich überschwemmten, ich konnte einfach nichts
sagen. Als wir auf die Straße fuhren, die direkt zu meinem Elternhaus führen
würde, schnürte sich meine Kehle zu. Ich schaffe das nicht!, hämmerte es in meinem
Kopf. Weiter! skandierte es synchron.
Bauch vor Kopf, immer. Aber da war nur
noch ein Klumpen aus Angst und Panik und dem unausweichlichen Drang, etwas zu
beenden, das ich schon zu lange vor mir hergeschoben habe.
Vor 15
Jahren war ich das letzte Mal hier. 15 Jahre. Es war so viel passiert.
Ich bog in
die Auffahrt ein und hielt direkt vor dem Haus an. Musterte die teuren Wagen,
die davorstanden. Ich wusste, dass es an eine Familie verkauft wurde, die eine
große Firma besitzt. Und dass sie viel verändern wollten, als sie es kauften.
Haben sie
nicht.
Das schmiedeeiserne verschnörkelte Tor, das ich in mühevoller Kleinarbeit
mit meinem Vater zusammengeschweißt hatte, hing immer noch an der einen Stelle
schief, so dass es nicht von den goldenen Römerköpfen gehalten werden konnte,
wenn es offen stand. Die Mauer zum Wohnwagenstellplatz hin, die ich gemauert hatte,
war schmuddelig und ungepflegt und bräuchte dringend einen Kärcher und danach
einen neuen Anstrich. Die Lampen auf den Mauersockeln waren mit Moos bedeckt
und unpoliert. Die Büsche schlecht geschnitten. Das Dach müsste vielleicht mal
neu gedeckt werden. Die große Weide, in der ich so viele Stunden als Kind
verbrachte, war weg und ist dem hässlichen Riesenwacholder gewichen, auf den
ich allergisch reagierte.
„Mama?“
Ich zuckte
zusammen. Wir saßen immer noch im Auto.
„Wo sind
wir?“
- Das ist
mein Elternhaus. Hier habe ich gewohnt, als ich so alt war wie ihr beide jetzt.
Wir stiegen
aus. Halb hoffte ich, es würde jemand aus dem Haus treten, dem ich mich
vorstellen könnte, halb fürchtete ich es. Es geschah nichts. Und so stand ich
da und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Das epische Erlebnis blieb aus.
Sollte ich mich geirrt haben? War es gar nicht wichtig, dass ich hierher kam?
„Das Haus
ist superhässlich.“
Ich sah mein
Kind an. Und dann das Haus. Ich hatte nie auch nur irgendetwas anderes als Bewunderung
für dieses Gebäude gehört.
Die
Kriegerin sah sich skeptisch um. „Und was hast du hier so gemacht?“
- Meistens
bin ich weggelaufen. Hinter dem Haus beginnen die Felder, der Bach und wenn man
einige Kilometer querfeldein gelaufen ist, ist da eine gigantische…
„Zeig es
uns!“
Der Butz
lachte und spurtete los. Ich setzte mich in Bewegung und fühlte mit jedem
Schritt, wie sich die Vergangenheit mit der Gegenwart synchronisierte.
Hier.
Hier musste ich hin.
Ich lief schneller. Die beiden Kinder rannten den Weg
neben dem Bach entlang Richtung Felder. Kaum dass wir die Häusergrenze hinter
uns gelassen hatten, umfing mich die ohrenbetäubende Stille, wegen der ich
früher immer hierhin flüchtete. Plötzlich war ich 8, ich war 12, ich war 15, ich
war 45, es war Morgen, es war Tag, es war Mitternacht, es war jetzt und vor 30
Jahren, als ich erschöpft vom Laufen im Sommer unter klarem Sternenhimmel zu
Boden sank, in die Unendlichkeit des Weltalls blickte und erkannte, wie klein
und bedeutungslos wir alle im Vergleich zum großen Ganzen waren. Und trotzdem ein Teil davon. Ich spürte, wie mich der Trost durchströmte, die Kraft,
die ich früher an genau diesem Ort gesammelt hatte, um mich dem nächsten Tag zu
stellen. Um nicht aufzugeben, um nicht wahnsinnig zu werden.
Hier war ich
richtig. Das Haus war gar nicht der Ort, an den ich zurückkehren musste. Wie
blind ich war. Hier. Hier waren viel wichtigere Weichen für mein Leben gestellt
worden.
Ich zeigte
den Kindern den geheimen Übergang über den Bach, der hinter dichtem Bewuchs
verborgen lag. Wo ich unter der Brücke in die Maueraussparung gekrochen war, um mich zu verstecken,
wo ich geschlafen habe, wenn mich keiner suchte. Wo ich glücklich war.
Wo ich
glücklich war…
Diese Worte
brachten alles in mir zum Klingen. Hier. Hier war ich früher glücklich. Hier war
Hoffnung. Meine Hoffnung. Hier war das Herz grün und voller Zuversicht für
meine Zukunft.
Hier war ich
frei.
Als wir Stunden
später fuhren, wusste ich, dass ich nicht mehr zurückkommen würde.
Das letzte
Puzzleteil liegt an seinem Platz.
Desillusioniert
Ich sehe nicht, dass es sich rentiert, ein aufrechtes Leben zu leben. Ich sehe die Dinge, Sozialleistungen, Geld, Spenden, Mitleid, Zuwendung, Geschenke, die Menschen unter Vorspiegelung falscher Tatsachen ergaunern und wie sie jenseits jeder Moral und jenseits des theoretisch vorgegebenen zivilisatorischen Konsens von Ethik und Sozialverträglichkeit nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind.
Und es ist nicht einmal, dass mich das überraschen würde. Oder mich in seinem Ausmaß erschreckte.
Ich bin auch heute noch von Menschen umgeben, die so nah am Bodensatz der Gesellschaft überleben müssen, dass sie natürlich andere Entscheidungen treffen als der Großteil der Bevölkerung treffen müsste. Ich kenne Menschen, die klauen, die sich aus Not prostituieren, den Staat bescheißen, die ihre Kinder oder Partnermenschen schlagen, sie anschreien, misshandeln, die betrügen, und lügen, wenn sie den Mund aufmachen. Eine meiner Alltagsaufgaben ist es, diesen Menschen genau dann eine Hand zu reichen, wenn sie mir im selben Atemzug nicht die Handtasche klauen und ich kann das gut.
Ich verurteile das moralisch nicht.
Ich werte nicht. Ich höre und ich sehe und ich kenne den Unterschied zwischen Mensch und Verhalten.
Ich kenne den Überlebensmodus.
So anders und doch so gleich.
Wenn du einen Großteil deines Lebens auf deine Amygdala heruntergebrochen wirst, denkst du nicht mehr nach.
Du tust Dinge.
Und ein Wertesystem ist für die moralisch privilegierten.
Moralisches Privileg entsteht aus Sicherheit.
Und genau hier ist der Punkt, der mich desillusioniert. Wenn sogar die moralisch Privilegierten entscheiden, ihren Neocortex nur dafür zu nutzen, wie sie ihr Leben maximal komfortabel gestalten können, wie sie andere ausnutzen, um Geld erleichtern, wie sie auf Mitleid spielen und persönliche Vorteile aus einem wackeligen Lügengebilde erfahren, wo genau ist der Sinn, dass es einen anscheinend nur verschwindend geringen Teil Menschen gibt, die sich bemühen, genauso nicht zu sein?
Do what is right. Not what is easy.
Es scheint mir immer mehr ein Spruch aus einer Fantasiewelt zu sein, die ich mir zurechtgezimmert habe, weil ich daran glauben wollte, dass es tatsächlich einen nicht unerheblichen Bruchteil an Menschen gibt, die nach dieser Maxime ihr Leben gestalten wollen. Nicht perfekt, aber bemüht. Wenn ich mich in nächster Umgebung umblicke, brauche ich nicht einmal alle Finger einer Hand zum zählen. Und wer weiß schon, welche Leichen im Keller diese Menschen verbergen.
Vertraue niemandem. Alle Menschen lügen. Immer.
Soll ich also in meinem Leben wirklich so weit gekommen sein, um letzten Endes zu erkennen, dass wir als Menschheit unterm Strich genau so sind, wie meine Herkunftsfamilie immer prophezeit hat?
Korrupt, moralisch verkommen und nur auf den eigenen Vorteil bedacht?
Und warum sollte ich dann an mein eigenes Verhalten andere Maßstäbe anlegen, wenn es mir doch hierbei nur zum Nachteil gereicht?
Ich kann die Zwischentöne gerade nicht mehr sehen, während alles, was nicht weiß ist, ins Schwarz rutscht.
So unendlich traurig über Erkenntnisse, die schon immer da waren.
Overload
Menschen nerven mich gerade. Das ist ziemlich schlecht, bin ich doch ununterbrochen von Menschen umgeben.
Aber ich bin zurzeit urteilender als ich den Anspruch an mich stelle.
Bin angefasst, wenn ich angegriffen oder doof angemacht werde, nehme viel persönlich, was ich okayen sollte und fühle mich aktuell mit vielleicht höchstens einer Handvoll Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung richtig wohl, den Rest möchte ich gerne auf den Mond schießen.
Es gibt ein paar wenige Personen, die es leider unter Vorspiegelung irreführender Tatsachen bis in meinen SafeSpace geschafft haben und ich kämpfe hart, das Problem für mich auf gesellschaftlich akzeptablem Weg zu lösen.
Die Stalkinggeschichte der letzten Monate, das Eindringen in unseren höchstpersönlichen Lebensraum hier im Städtchen und „zufällige“ Begegnungen tun ihr Übriges, dass ich manchmal einfach nicht mehr sichtbar sein möchte. Aber das Problem ist nicht meins. Wer nicht genug sozial angemessene Verhaltensweisen verinnerlicht hat und uneingeladen hier auf meiner Grundstückstreppe sitzt oder mich am Tag mit dutzenden Nachrichten bombardiert, ohne dass ich jemals darauf geantwortet hätte - der hat ein Problem.
Und zwar ein Gewaltiges.
Ich übernehme dafür keine Verantwortung.
Aber sicherlich hat es den Schritt beschleunigt, einen 22.000 Follower-Account einfach zurücklassen zu können, ohne allzu traurig darüber zu sein, ein weiteres Kapitel zu beenden.
Es liegt eine seltsame Faszination darin, mit Großaccounts zu kommunizieren und ich verstehe nicht, welche. Allein der Blick in mein Postfach deckt alle Untiefen menschlicher Absurditäten ab, die man sich nur vorstellen kann. Ich möchte offen für Menschen bleiben, aber ich möchte nicht überfahren werden. Ich kommuniziere ungern konstruiert und schon meine 40 Guten-Morgen-Kati-Nachrichten auf WhatsApp lassen mich innerlich manchmal schreiend davonlaufen.
Ich halte das aus, weil mir Menschen wichtig sind.
Wozu ich allerdings nicht bereit bin, ist, dass Menschen, die ich nicht ermutige, insistieren, mit mir eine wie auch immer geartete Form von Gespräch führen zu dürfen, einfach weil ich öffentlich bin und gefälligst verfügbar zu sein habe.
Ein anderer problematischer Aspekt ist der, dass Menschen denken, mich zu kennen, weil sie 1 bis 10 Mal am Tag von mir 140 Zeichen lesen können.
Und das ist wirklich ein richtig großes Problem. Ich bin jeden Tag öffentlich. Manchmal zeige ich einen Ausschnitt meines Tages. Manchmal aus der Vergangenheit.
Fast alles ist auf leichtes Verständnis heruntergebrochen. Manchmal teile ich einen Standpunkt, eine Ansicht, eine Moralvorstellung. Nichts davon ist so heiß, dass ich es nicht ertragen kann, wenn es angegriffen wird. Nichts. Das heißt, alles, was mich emotional wirklich hart anfasst, ist dort eher nicht zu lesen. Alles, was ich formulieren kann, ist soweit abgekühlt, dass ich einen gewissen Abstand habe.
Und trotzdem denken Menschen, die nur diese Ausschnitte lesen, dass sie wissen, wie mein gottverdammter Tag war oder was mich beschäftigt hat.
Wenn ich mit Menschen kommuniziere, die sowohl mein Twitter/Insta/Blog/Facebook/whatever lesen als auch mich im realen Leben kennen, dann merke ich schnell, wer den Großaccount für das Maß aller Dinge hält und wer tatsächlich die Kati hinter dem Kompendium sehen kann.
Ich weiß, wie verführerisch und leicht es uns SocialMedia macht, ein Podest für die zu erschaffen, die wir nur so sehen wollen, wie wir das gerade brauchen.
Und auch hier, einmal mehr: Nicht mein Problem, nicht meine Verantwortung. Ich will keine Projektionsfläche für anderer Leute Idealvorstellungen sein.
Ich will ich sein und um meiner selbst willen interessant sein und um meiner selbst willen von denen gemocht werden, die mir wichtig sind. Ich vermute, wie jeder Mensch.
Letzten Endes ist gerade eine Plattform wie Twitter ein Darstellungsmedium.
Und ich liebe das. Ich liebe die Gedankenschnipsel, die unterschiedlichen Themen, den Tellerrand, die Möglichkeit, es als seelischen Mülleimer, als Roleplay, als DailySoap oder als Nachrichtendienst zu nutzen.
Bedenklich wird es erst, wenn daraus die Theorie konstruiert wird, dass ein solches Medium einen Menschen und dessen Leben komplett abbilden kann.
Gefährlich wird es dann, wenn sich daraus eine Obsession entwickelt.
Im Mittelpunkt steht man immer allein.
Phantomschmerz
Ich war gerade mehrere Stunden beim Zahnarzt und es war eine wirklich unangenehme Sitzung unter erschwerten Bedingungen, aber nichts von alledem beschäftigt mich gerade, sondern es geht um einen anderen Umstand: Ich habe das erste Mal ganz bewusst das Echo einer Panikattacke durchlebt, die gar keine war. Herzschlag, Atmung, alles unauffällig, der Neocortex voll aktiv und trotzdem pumpte in den Tiefen meines Seins etwas vor sich hin. Und das Faszinierende daran ist: Ich hatte das Gefühl, ich MUSS jetzt eine Panikattacke haben, weil das schon immer so war. Das Ausbleiben der Angst erzeugte wiederum Angst und so geriet ich kurz in eine Schleife von Gefühl, in der ich nicht mehr sagen konnte, wo die Erinnerung endete und die Realität begann. Es hallte als dumpfes Pochen in mir nach, aber da war niemand, der gerade wirklich ein Problem hatte. Im Gegenteil. Ich hatte keine Alpträume, ich habe gut geschlafen, wie ich das schon seit längerer Zeit vor Zahnarztterminen schaffe, ich hatte keine Schweißausbrüche, keine Atemnot, keine Flashbacks, nichts. Wir waren heute Morgen sehr versammelt und gut aufgestellt, trotz des seltsamen Starts in den Tag, der allein mich schon außer Gefecht hätte setzen sollen, es aber nicht tat. Und trotzdem war da ein Phantomschmerz aus vergangenen Zeiten, der um der Anerkennung willen beachtet werden wollte. Ich habe aufmerksam in mich hineingehorcht und da war keine Angst. Keine Bedenken. Nichts. Ich vertraue diesem Arzt und das letzte Jahr hat gezeigt, dass alle meine Grenzen geachtet werden. Auch die Unsichtbaren. Die, die nur in meinem Kopf existieren. Das Grauen, das er nicht kennt und trotzdem fühlt, dass es mich von Zeit zu Zeit so sehr lähmt, dass eine Behandlung unmöglich wird. All das auf hochprofessioneller Ebene, auf dem neuesten Stand der Technik und als Arzt, der vor ihm schon allein aufgrund seines jungen Alters für mich nie in Frage gekommen wäre, weil auch seine Jugendlichkeit Unangenehmes hochholt.
Ich habe mein Erleben transformiert und mir fehlen die Worte für die unermessliche Größe dieser Leistung, dieses Sieges über meine Amygdala. Ich habe das gemacht. Ich habe mich all diesen Situationen ausgesetzt, auch als die Schmerzen schon längst verschwunden waren und ich es hätte schleifen lassen können, wie so oft in der Vergangenheit. Habe ich aber nicht. Ich bin in den Zweikampf mit dieser meiner Nemesis gegangen, freiwillig. Und ich habe triumphiert.
Hybris
Ich fühle mich dieser Tage, als könne ich vor Schuld und Schmerz keinen Schritt mehr weitergehen. Die quälend schwere Last lähmt mich. Es hämmert in meinem Kopf. Ich kann das nicht ertragen und muss es trotzdem aushalten. Und um wieviel leichter ist denn auch meine Bürde im Vergleich zu ihrer?
Ich würde ohne Zögern mein Leben für diesen Menschen geben und trotzdem habe ich es nicht geschafft, ihn zu schützen. Versagen auf ganzer Linie. Ich habe es weggeschlossen und spüre es vor sich hingären. Es kann dort nicht bleiben, aber ich kann es nicht ansehen ohne mich darin zu verlieren.
Plan B bis Z
Die erste Nacht wieder richtig tief und behütet geschlafen.
Was für ein Unterschied in dem Grauen, das die meisten Menschen Morgen nennen.
Traumlos, vor allem. Was wichtig ist.
Ich erinnere mich an die Zeit vor 5 Jahren, als nichts mehr ging.
Als mein Herz in Fetzen im Brustkorb hing, kraftlos auspulsierend, gebrochen.
Ich hab es mehrere Monate alleine geschafft.
Verbrachte die Tage in dumpfer Dunkelheit, sinnentleert vor mich hinstarrend und ging irgendwann wegen etwas ganz anderem zu meinem Hausarzt, wo es auf seine Frage, wie es mir ging, schwallartig aus mir herausbrach.
Ich bekam das ganze Programm.
Antidepressiva, Beruhigungsmittel, Schlafmittel.
Um überhaupt wieder in diese Welt zurückzufinden, musste ich in der Lage sein, sie nachts zumindest kurzfristig zu verlassen. Und gepaart mit meiner ausgeprägten Panik, die Kontrolle abzugeben, brauchte ich jemanden an meiner Seite, der dabei über mich wachen würde, damit ich schlafen könnte.
Also nahm ich abends mit klopfendem Herzen und voller Skepsis eine dieser winzigen Tablettchen, die mir zwar Ruhe aber auch Kontrollverlust bringen würde.
Ich kann das nicht gut. Ich muss bereit sein, immer. Was, wenn was mit den Kindern ist, was, wenn was mit dem Mann ist, was, wenn ich das Haus verlassen muss, was, wenn ich Autofahren muss, was, wenn ich den Rauchmelder nicht höre, was, wenn…. Und bei Gott, ist das Zeug geil. Eine Viertelstunde nach der Einnahme gingen mir derart die Lichter aus, dass ich beim Aufwachen 14 Stunden später weder das typische Gefühl hatte, geschlafen zu haben, noch mich an Unruhe oder Träume erinnerte.
Da war nur samtenes, tiefschwarzes Nichts. Wenn der Tod so aussehen würde - Hallelujah. Das wäre dann wohl der Inbegriff von ewigem Frieden.
Wir haben das nicht oft gemacht.
Es musste für mich stimmig sein, der Mann musste aufpassen, ich musste am nächsten Tag ausschlafen können, ich musste die Panik im Vorfeld bekämpfen können.
Nach kurzer Zeit stellte ich die kleine Dose Tabletten wieder in den Schrank, für Notfälle. Als Backup. Ich liebe Backups.
Und so half sie mir im Endeffekt im Medizinschrank effektiver als wenn ich sie für den täglichen Gebrauch im Nachtschrank aufbewahrt hätte. Beruhigungsmittel, Antidepressiva, dasselbe. Ich schöpfe unendlich viel Kraft daraus, immer einen Plan B und C und D zu haben.
Und wenn die Zeit auch für sonst nichts gut war, dies habe ich mitgenommen.
Es gibt etwas nach der Verzweiflung.
Es gibt Mittel und Wege und Hilfe, wenn ich an dem Punkt bin, an dem es sich so anfühlt, dass nichts davon mehr existiert.
Selbstmitleid
Ich suhle mich heute in dem zähen Morast meines fragilen Egos, das sich fragt, ob es überhaupt jemanden gibt, der mich vermisst, sich Sorgen macht, wissen will, wie es mir geht, das ganze Programm. Ich schreibe das auf, um es einzuordnen, brandzumarken und ein weiteres Stückchen zu reifen, erkenne ich doch immer zuverlässiger meine Mechanismen, so schmerzhaft diese Erkenntnisse mitunter auch sein mögen.
Was bin ich wert? ist meine Schlüsselfrage im Leben. Wann bin ich wertvoll? Was muss ich tun? Wieviel muss ich leisten, damit ich gemocht werde?
Und nebenher entsteht gerade eine ganz zarte Verbindung zu jemand Unerwartetem, die ich mir lange als unsinnig eingeredet habe, obwohl ich da eine gewisse Sehnsucht gespürt habe.
Und auch hier wieder: Bin ich wertvoll genug? Reiche ich? Bin ich eine Zumutung?
Die, die ich in den nächsten Abschnitt mitnehme, werden im Wandel der Jahrzehnte zahlreicher. Und was mir vor 30 Jahren noch nicht wie Egozentrik vorkam, aber im Grunde genau dies war, ist die Formulierungsart der Frage. Wer darf mit?
Heute lautet sie: Wer will das denn überhaupt?
Klebrig, hier unten in der Badewanne voller Selbstmitleid.
Mir fehlt gerade ein wenig die Zuversicht.
Die letzte Woche war die emotional Härteste seit jenem Sommer vor 5 Jahren als sie gegangen ist.
Und ich bin wütend, weil ich mich nicht gesehen fühle. Alleingelassen bin in all dem seelischen Aufruhr, der in mir tobt.
Finde keinen roten Faden in mir, an dem ich mich orientieren, kein Seil, das ich greifen und keinen Vorsprung, an dem ich mich festhalten kann.
Vielleicht ist es auch einfach okay, dass gerade so viel Einsamkeit, Trauer und Schmerz hochschwappen und ich einen Moment davon getragen werde.
Nebel [Wabern]
So langsam formt es sich.
Ich kann es noch nicht greifen oder sehen, aber spüren.
Das Trübe, in dem ich fische, fühlt sich allmählich so an, als würde es Gestalt annehmen wollen.
Ich überprüfe Domains, lösche alte Links, fülle meine Offline-Archive, mache Listen und bin gespannt auf den nächsten SocialMedia Abschnitt des öffentlichen Teils meines Lebens.
Mein Unterbewusstsein wird den Namen irgendwann ausspucken, mein Gehirn gleicht derzeit einer gigantischen Mindmap, auf der das gesamte Vokabular mehrerer Sprachen in Kategorien geordnet und mit Assoziationen versehen wird.
Ich war MamaKati, Gedankenchaos, Cogitabilis, Frau Limette, Synapsenchaos und das Jadekompendium. Das Jadekompendium hat mich am längsten und intensivsten begleitet und es hat mich überrascht, dass es jetzt bereits endet, aber man muss aufhören, wenn die Zeit gekommen ist.
Immer.
Übergang [Häutung]
Der Prozess, der seit Monaten in mir stattfindet und mich umtreibt, schlaflos hält, in Frage stellt, gipfelt und manifestiert sich äußerlich jetzt in nur einem einzigen Punkt: Dem Ende.
Das wird der Transformation in keinem Sinne gerecht, aber wie kann man das Innen auf das Außen projizieren, ohne seine Authentizität zu verlieren?
Gewisse Dinge müssen reifen.
Vor aller Augen verborgen wandeln sie sich und evolvieren sie, bis sie bereit sind, ans Licht zu treten. Und dann scheint es für den Zuschauer vielleicht zunächst wie Willkür oder Zufall oder etwas ähnlich Unplanbares, doch ist es nur der Höhepunkt einer exakt so essentiell nötig abgewickelten Choreografie aus Erleben, Denken und Fühlen und damit der Beginn eines neuen Lebensabschnitts, nicht das Ende.
Die alte Haut abstreifen können hat mich immer fasziniert.
Alles, was sich im Leben transformiert - egal ob nun Larve zu Puppe zu Schmetterling oder das wortwörtliche Häuten der Reptilien, sie alle kommen in einer weiterentwickelten, größeren, glänzenderen Form zurück, um einen neuen Weg zu beschreiten, der ihnen vorher teilweise nicht einmal offenstand.
Das zu Tode abgenutzte und trotzdem immer wieder auferstehende Bild des Phoenix spiegelt die Entsprechung in der Sagenwelt wieder, aber der Teil mit dem in Flammen aufgehen war nie so ganz meins.
Ich mag die Verpuppung, finde den stillen Übergang und die Veränderung sehr viel reizvoller als die theatralische Dramatik des Augenblicks, bevor der Vogel im Grunde wieder genau das ist, was er vorher war.
Es ist wie es ist.
Es wird, wie es sein soll.
Alles bleibt anders.
Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.
woanders:
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Do what is right. Not what is easy.
you want. It doesn't matter anyway.