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Das Erbe
Heute vor 5 Monaten hat sie ihren letzten Atemzug getan.
Und ich habe sie begleitet.
Das Prozedere danach war unschön.
Wir mussten meine Eltern verständigen - mein Vater ist der einzige Sohn und damit der Erbe meiner Großmutter.
Das Gespräch verlief so, wie meine Eltern nun mal sind. Ohne Gefühl und auf ihren eigenen Vorteil bedacht.
Kurz danach die Frage, wie viel Geld noch da sei und dass wir das doch alles wohl noch zu ihren eigenen Gunsten abwickeln würden...
Sie würden sich mit dem Papierkram nicht befassen wollen.
Der Mann - mein Schild - sagte ruhig "Nein." und das war es dann mit dem Gespräch.
Oma wurde abgeholt und wir hatten bereits vor dem Gespräch mit meinen Eltern unseren Anwalt informiert.
Wir haben aus der Vergangenheit gelernt.
Oma wurde beerdigt und meine Eltern verfügten irgendetwas Beliebiges mit billig, anonym und schnell. Weil uns klar war, dass wir dort nicht würden erscheinen dürfen, verabschiedeten wir uns hier zuhause ausführlich von Uroma.
Der Bestatter unterdessen bewies ziemlich viel Courage und ließ mich alle Entscheidungen fällen, die meine Mutter an ihn abgegeben hatte. Und so kam Oma sowohl zu ihrer geschmückten weißen Urne mit Rosen, die sie ihr Leben lang so sehr geliebt hatte, als auch zu einer Beisetzung, bei der wir alle anwesend sein konnten. Oder wie der Bestatter es ausdrückte: "Ich bin zu dieser Zeit an diesem Ort. Und wenn ich dort wie beauftragt allein für die Urnenbeisetzung stehe und es gesellen sich zufällig anteilnehmende Menschen dazu, dann ist das doch etwas Schönes, nicht wahr?"
Während meine Eltern sich vor, während und nach der Beerdigung mit unserem Anwalt auseinandersetzten und wir jede Mail von ihnen ignorierten, egal wie unverschämt sie war, packte ich Omas Sachen in Kisten. Mit viel Herzschmerz. Es gab so viel davon, was mir lieb und teuer war. Sie sagte immer, ich solle nach ihrem Tod behalten, was ich will, aber rechtlich geregelt haben wir das nie. Und mit jedem Teil, das mir so viele Erinnerungen bescherte, wurde mir das Herz schwer. Es gehörte jetzt nun einmal meinem Vater. Der würde es zwar wegwerfen oder verkaufen, aber wenn es fehlen würde, hätten wir innerhalb kürzester Zeit wieder ihre Anwälte auf dem Hals. Ich packte also alles sorgfältig in Kisten, verabschiedete mich auf diese Art von den greifbaren Erinnerungen an meine Großmutter. Alles wurde genau in Listen eingetragen, ich verbrachte mit den Kindern noch mehrere Tage in Uromas Zimmer. Bei jedem Stück, das mir eine Geschichte erzählte, gab ich diese an die Kinder weiter. Es war gut und es war heilsam.
Unser Anwalt übermittelte die genaue Auflistung von Omas Besitz an meine Eltern.
Und es passierte nichts.
Omas Sachen füllen ein großes Zimmer, das eigentlich unser Esszimmer ist.
Wir hatten Anfang letztes Jahres das Esszimmer ins Wohnzimmer verlegt, damit wir Platz haben.
Und nun stand dieses Zimmer mit Möbeln, Kisten, Rollstühlen und anderen Gegenständen voll.
Nicht lange, überlegten wir uns, sobald mein Vater rechtskräftig geerbt hätte, würden wir von ihm verlangen können, dass er die Sachen abholt.
Ich freute mich Ende August darauf, dass wir Weihnachten endlich wieder mehr Platz haben würden.
Endlich wieder Platz im Wohnzimmer, endlich den 1 x 2,50 m langen Esstisch wieder in einen eigenen Raum...
Endlich.
In der Zwischenzeit versuchten meine Eltern allerlei Dinge, um uns auf den wertlosen Sachen sitzen zu lassen, sehr wohl aber an verkaufbare Dinge zu kommen, ohne das Erbe offiziell anzunehmen oder auszuschlagen. Es funktionierte nicht.
Ich liebte den Mann und unseren Anwalt noch mehr als ohnehin schon, während ich versuchte, wieder gesund zu werden und bei jeder neuen Mail meiner Eltern nicht in Panik zu geraten.
Die Frist zur Ausschlagung des Erbes verlängerte sich von den erwarteten 6 Wochen auf unerträgliche 6 Monate, weil meine Eltern ihren Hauptwohnsitz im Ausland haben.
Dann - kurz vor Weihnachten - eine weitere Mail an uns, mein Vater würde das Erbe vielleicht annehmen, aber dann müssten wir uns um alles kümmern. Das wenige Geld nähmen sie, wir bekämen dann die Sachen, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind. Zum Verkaufen. Oder zum Entsorgen. Oder so. Die Rechte an allem würde aber natürlich mein Vater behalten.
Es ist immer wieder bemerkenswert, wie ihre Welt sich dreht.
Der Anwalt schrieb einen wirklich feinen Brief zurück, dass ich den Teufel tun würde.
Ich lese diese Worte auch heute noch sehr gerne.
Die Zeit verging und wir feierten Weihnachten im Wohnzimmer mit unserem riesigen Esstisch und einem noch größeren Baum und ich hoffte einfach auf das nächste Jahr.
Ich stellte mich darauf ein, dass wir dann ab nächstem Monat die Räumung des Zimmers anmahnen würden.
Die Katzen schliefen inzwischen hoch oben auf Uromas riesigem Pflegebett und wir hatten zumindest ein paar Stühle ins Zimmer gestellt, die sonst im Weg waren.
Wir hatten uns nach fünf langen Monaten mit dem vollgestellten ehemals schönsten und hellsten Zimmer im Erdgeschoss arrangiert.
Und dann ging ich gestern zum Briefkasten, als ich mit dem Hund im Garten trainierte und zog Unmengen von Katalogen daraus hervor.
Dazwischen ein dicker Brief vom Amtsgericht.
Mein Herz klopfte laut, als ich ihn öffnete. Regen fiel auf den Text, der Hund sprang nass und dreckig um mich herum und da stand es, schwarz auf weiß:
Der erste Erbberechtigte hat die Erbschaft ausgeschlagen.
Ich stehe an zweiter Stelle der Erbfolge.
Als ich später am Abend eine der zugeklebten Kisten öffne, schlägt mir der vertraute Geruch meiner Großmutter entgegen.
Ich hatte eine Kiste mit Handtüchern erwischt.
Handtücher, an denen sich mein Großvater und ich nach unseren Abenteuern schon abgetrocknet haben.
Viele davon sind zerschlissen, einige sehen noch genauso aus wie vor 35 Jahren, als ich 5 war.
Handtücher, die mir von Kindesbeinen an so vertraut sind, weil sie mit Geschichten verknüpft wurden.
Mit Lachen, mit Geborgenheit, mit Spaß und Abenteuer, mit Müdigkeit und warmen Sommertagen im Garten.
Und nun gehören sie mir.
Und niemand kann sie mir mehr wegnehmen.
So etwas kann nur verstehen wer ein Herz hat. Wer ein Herz an der richtigen Stelle hat. Ich freu mich für dich, dass diese Erinnerungsschätze nun dir gehören. Sie sind unbezahlbar. Es hat mich sehr erschüttert deinen Beitrag zu lesen. Hier in meiner Familie lief ähnliches mit meinen Arschloch Tanten ab. Mir blieb leider nichts ausser Erinnerungen , aber diese sind sooooo wertvoll . Mit einer Träne im Auge schicke ich dir liebe unbekannte Grüße
vom 13.01.2018, 14.31