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Das taube Kind

Es ist jetzt bald vier Jahre her, dass der schrecklichste HNO-Arzt der Welt mit gleichgültiger Stimme verkündete: "Das Kind ist taub. Operiere ich selber, nächste Woche, mal sehen, ob er dann hören kann oder blöde bleibt. Ist halt keine schöne Sache."

Es ist auch bald vier Jahre her, dass wir statt im Hinterhof des HNO-Arztes in einem großen Zentrum für HNO/Pädaudiologie alle zusammen um 6 Uhr morgens auf den Chirurgen warteten, der den närrischen kleinen Tuk zur ersten Operation seines Lebens abholen würde.

Erst ein Jahr ist es her, seit die letzte Operation vorgenommen wurde und das dumme taube Kind endlich ein einem gesunden Kind gleichgestelltes Hörvermögen bekam.

Wo die meisten Menschen abschalteten, weil sie sein Gelalle nicht verstanden haben, hatten wir an den richtigen Stellen Menschen, die gelernt haben, sein Gelalle zu deuten und ihn zu verstehen.

Eine beste Kindergartenfreundin, die über ein Jahr lang jedes Lallen in vollständige Sätze für die anderen Kindergartenkinder verwandelt hat. Weil sie ihn verstand.

Erzieherinnen, die Zeichensprache nutzten, Fortbildungen auf Gehörlosenschulen besuchten und geduldig jede Äußerung seinerseits interpretierten, bis sie wussten, was er meinte. Inklusive regelmäßiger Anrufe, dass er sich gerade "sehr doof fühlen würde", weil ihn niemand verstünde und bei denen ich kurz mit ihm sprechen konnte, bis es wieder ging.
Seit einem Jahr eine Logopädin, die in den ersten beiden Stunden so ratlos war wie selten in ihrer Laufbahn, wie sie mir versicherte.
Die heute Morgen, nach insgesamt nur 38 Stunden Logopädie sagen musste: "Unsere Wege trennen sich jetzt."

Auf unserem Weg lagen auch sehr sehr viele wohlmeinende Menschen mit sehr viel Meinung für sehr wenig Wissen.
Aber die zählen nicht.

Aktuell liegen all seine Testergebnisse weit über 90 %.
Er wird in diesem Jahr vorzeitig eingeschult.
Hat ein extrem großes Faible für Buchstaben und Zahlen.
Zählt im 10.000er Raum, rechnet im Hunderterraum, buchstabiert, liest und schreibt.
Und das ist nicht im letzten Jahr passiert, seit er hören und sprechen kann.
Das war schon immer in ihm.

Und dass wir seinen Weg mit Menschen gegangen sind, die ihm geholfen haben, diese Fähigkeiten auch ausdrücken zu können - lange, bevor er sprechen konnte - dafür sind wir jeden Tag so unglaublich dankbar. Und voller Demut.

Kati 28.03.2017, 12.00

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Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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