Ausgewählter Beitrag

Der süße Teufelskreis

Ich bin ein extrem gewalttätiger Mensch.
Schon immer gewesen.
Ich kann hart, schnell und vernichtend zuschlagen und das ist nicht metaphorisch gemeint.

Vor 18 Jahren trat ungeplant ein Wesen in meine Welt, das alles auf den Kopf stellte, was ich bis dahin kannte. Liebe, bis dahin ein theoretisches Konstrukt, das ich maximal als Deckmäntelchen für missbräuchliche Beziehungen benutzt habe, bekam plötzlich einen Namen und ein Gesicht. Im Augenblick ihrer Geburt wusste ich, dass ich dieses kleine Wesen mit meinem Leben schützen würde.
Auch gegen mich selber.

Da wir nicht in einem rosaroten Film leben, war meine Aggressivität leider nicht einfach weg. Sie ist ein Teil von mir und wird es immer sein. Aber dieser Teil meiner Seele, der in meinem Kind plötzlich außerhalb meiner Selbst existierte, trat in einen unerbittlichen Wettstreit mit mir selbst. Ich wusste, ich würde niemals die Hand gegen diesen Menschen erheben können. Und das habe ich auch nie, gegen keines meiner Kinder.
Das heißt nicht, dass ich niemals das Bedürfnis hatte, es zu tun.
Im Gegenteil. Vermutlich wäre das auch zu einfach gewesen.

Meine Kinder verstehen es meisterhaft, mich innerhalb kürzester Zeit zur Weißglut zu treiben. Wie alle anderen Kinder testen sie Grenzen und pieken instinktiv dort, wo es wehtut. Gewalt ist meine erlernte und früher immer erfolgreiche Antwort, aber keine Lösung innerhalb dieser Mutter-Kind-Beziehungen.

Gleichwohl lodert in mir ein Jähzorn, der ununterbrochenen Fokus und Disziplin benötigt, um nicht unkontrolliert aus mir herauszubrechen. Was als Strategie bleibt, ist eine gewisse innere Distanz, sehr viel schwarzer Humor und ... essen.

Ich habe auch aus anderen Gründen kein normales Verhältnis zur Nahrungsaufnahme, aber hier ist das Prinzip schlicht und einfach: Zucker macht glücklich, viel Zucker macht sehr glücklich und betäubt vor allem den schreienden Hass, der in mir wohnt.

Aus vielen gesundheitlichen Gründen komme ich nun an meine Grenzen, was diesen Lösungsansatz angeht.

Also habe ich beschlossen, dass ich inzwischen über genug Abstand, Fähigkeiten und ausreichend alte Kinder verfüge, dass ich aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann. Ich kann mich aus Situationen herausnehmen, ohne ein hilfloses Kind im Stich zu lassen. Ich kann auch räumlich auf Abstand gehen, ohne dass gleich eine Katastrophe passiert. Ich muss nicht mehr essen, um präsent zu bleiben und dabei niemanden zu verletzen.
Wie alle jahrzehntelang erprobten und für gut befundenen Mechanismen ist auch dieser hier nur schwer zu bekämpfen.

Mein eigenes Arbeitszimmer war ein guter Schritt in diese Richtung.
Ich kann mich in einen ganz eigenen Raum zurückziehen, wenn es mir zuviel wird.
Dort kann ich durchatmen, Abstand gewinnen und mich fokussieren.

Ich habe elementaren Hunger auf mehr als nur Zucker und das ist nach all den Jahren unter gedämpfter Wahrnehmung schwer auszuhalten.
Mein Körper macht das hervorragend, mein Geist kämpft.
Jeden Tag, jeden Moment.

Die Gier nach echter körperlicher Konfrontation, wie ich sie immer geliebt habe, geifert an manchen Tagen fast unerträglich nach einem Opfer.

Ich kann das aushalten.

Und ich werde das aushalten.

Kati 26.08.2020, 15.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

2. von Rina

Und Du Suche nach einem "Opfer", das gegenhalten kann, waere kein Option? Ich denke da an jemanden, wie den Karatetrainer meiner Kinder, der das seit 40 Jahren auf hoechstem Niveau betreibt...Es ist so befreiend, mal zuschlagen zu duerfen (und maximal sich selbst dabei wehzutun)

vom 27.08.2020, 21.47
Antwort von Kati:

Ja, das ist der Mann für mich. Er ist stark genug, mich einfach auszuhalten und kann sich dabei selber schützen.
Das befriedigt manchmal kurzfristig einen Teil der Gewaltätigkeit.
Aber nicht den Sadistischen.

1. von abraxa

hier das Gegenteil in genau so (Essen um nicht das kleine heulende wehrlose Wesen zu sein, dass in der Ecke sitzt und sich versteckt)

vom 26.08.2020, 15.58
Antwort von Kati:

Oh. Ich habe nie darüber nachgedacht, dass das auch andersherum funktionieren könnte.


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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