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Der Sabotagefaktor

Ich weiß nicht ganz genau, warum ich misslungen bin. Ich ahne es aber, inzwischen. Nach Jahrzehnten Therapie, Supervision, eigenem Studium, Selbstreflexion.

Und was mich daran fast amüsiert, ist, dass mein Vater, der meine Programmierung so akribisch geplant und überwacht hat, dass keine menschliche Schwäche ihm von außen einen Strich durch die Rechnung machen würde, an genau diesem Punkt scheiterte: An der Schwäche meiner Mutter. 

Ich vermute, dass er Vieles mit eingeplant hat, aber nicht die sein Kind sexuell missbrauchende Ehefrau, die sein Projekt über Jahre heimlich mit ihren eigenen Obsessionen sabotiert hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mein innerer Systemaufbau in völlig unkontrollierten Bahnen verlief, die er durch die vermeintlich sichere Umgebung zuhause bei meiner Mutter nie hätte vorhersehen können. 

Meine Mutter, die immer wieder neue Krankheiten, Symptome und Schwierigkeiten erfand, damit ich vor ihren Augen nackt von fremden Ärzten untersucht werden konnte und sie dies zuhause im Rahmen ihrer „Behandlung“ mit mir nachspielen konnte, aber ohne, dass mein Vater etwas davon erfahren würde, er sollte sich ja schließlich keine Sorgen machen. Das ging lange Jahre gut. Sehr lange Jahre. War ich mit meinem Vater zusammen, war ich vor meiner Mutter sicher und egal, was er getan hat, er hat mich nie - nicht ein einziges Mal - in sexueller Weise berührt oder betrachtet. Vielleicht mag das absurd klingen in Anbetracht dessen, was mein übriges Lebenstraining war, aber der Verrat meiner Mutter wog für mich immer so unendlich viel schwerer. 

Es ist schwer für mich, das in Gänze anzufassen, ohne in den Strudel zu geraten, weil so vieles im Verborgenen liegt. 

Das ist okay. Ich habe gelernt, die Angst, was irgendwann hochkommen könnte, auszuhalten. Es ist wie es ist und es wird, wie es sein soll.

Wir waren im Garten, als ich das erste Mal mit meinem Vater über meine Gefühle sprach. Darüber, dass ich nicht mag, wie Mama mich anfasst. Dass ich versuche, sie abzuwehren, aber sie nicht aufhört.
Ich weiß nicht, ob er schon damals verstand, dass sein Projekt scheitern würde und dass dafür zu einem nicht unerheblichen Teil die Frau verantwortlich war, die er nach Intelligenzquotient und genetischer Veranlagung auswählte und für geeignet hielt, seine Gene weiterzugeben. 

Er machte oft Witze darüber, dass sie mit ihren gerade mal knapp über 140 IQ-Punkten das Dummerchen der Familie war, aber er sie ja ausgleichen würde. Aber ihre Olympia-Teilnahme, der Körperbau, die Genetik, das konnte er nicht kleinreden. Das war das Pfund, mit dem sie wuchern konnte.

Dass sie ein pädophile Narzisstin war, gereichte uns vermutlich beiden zum Nachteil.
Ich habe irgendwann angefangen, ihre Hand mit aller mir verfügbaren Kraft wegzuschlagen und wegzulaufen. Habe mich verweigert, wurde dafür mit Schweigen und Verachtung gestraft. 

Als ich weggelaufen bin, nachts frierend und weinend und meinen Traum aus den Büchern träumte, dass man mich suchen und finden und mit Liebe willkommen heißen würde, habe ich nach einigen Tagen und Nächten eingesehen, dass nichts davon passieren würde.
Man hatte keine Polizei verständigt, man hatte sich keine Sorgen gemacht, meine Rückkehr wurde mit verächtlichem Schnauben quittiert.

Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn meine Mutter nicht ihr eigenes „Projekt“ mit mir am Laufen gehabt hätte? Wenn ich bei zwei Menschen aufgewachsen wäre, die weniger Geheimnisse voreinander gehabt hätten und weniger mit ihren eigenen seelischen Untiefen beschäftigt gewesen wären? 

Ich wäre vielleicht genauso perfekt geworden wie H..
Wir mussten so oft gegeneinander antreten, standen uns in nichts nach, aber in ihr entwickelte sich irgendwann das Projekt Elitemensch zum Selbstläufer. In mir nicht.

In mir nicht.

Kati 02.02.2023, 14.40

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Katrin

Ich bin froh, dass es dem dysfunktionellen System nicht gelungen ist, dich zu brechen. Dass sie gegeneinander gearbeitet haben, vielleicht ist das ein "Glück" im Unglück. Es tut mir leid, wenn ich dich lese und ich setz mich einfach mal neben dich, dein inneres Kind, das Monster, das nur überleben wollte und das Weinende, das fortlief, um gerettet zu werden, nur um zu erkennen, dass eine Rettung nicht in Sicht ist, das Missbrauchte, das angetatscht wird und wer weiß noch was alles und mit allen Gefühlen durcheinander gerät, weil es so etwas wie Sicherheit nicht gibt. Ich setz mich neben dich und alle deine Fragmente und bin froh, dass du das überlebt hast. Gut, dass du nicht allein damit bleibst, Erinnerung auszuhalten. Ich lass dir diesen Gedanken von mir hier. Und wenn du das willst, setz oder stell dich neben mich, ganz egal wie nah oder entfernt und wie still oder bewegt. Dann halten wir diese Erinnerung gemeinsam aus. Du bist heute nicht mehr allein damit.

Ich grüße dich herzlich.

vom 03.02.2023, 10.26


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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