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Die ewige Versagerin

Ich hatte versagt. Ich war 13, 14? und hatte im Training auf ganzer Ebene versagt. Mal wieder. Ich habe geweint. Die Tränen liefen mir die Wangen runter und ich hatte mich mehr als einmal zu einem disziplinlosen Keuchen hinreißen lassen. Der Fuß schmerzte immer noch, wo du mir vor Tagen den Zehennagel rausgerissen hattest.

Blickkontakt. Hart bleiben. Entspannen. Schmerz existiert nicht. Schmerz ist nur ein Gedankenkonstrukt. Ich wartete auf den vernichtenden Schlag. Er kam nicht.

Sollte es einer deiner weichen Tage sein? Wir hatten einige davon. Mit Reden, Lachen, Abenteuer. Ich habe dich vergöttert.
Aber es sollte stattdessen eine Lektion folgen.
Ich hatte immer Schwierigkeiten mit dem Gewürgtwerden. War nicht entspannt genug, die Griffe saßen nicht richtig, ich war zu langsam, zu hektisch, zu panisch, zu .. irgendwas. Und dann sagtest du: „Umfass von hinten meinen Hals. Drück zu. Würg mich. Fixier deinen Griff. So wie du es gelernt hast.“

Das war das erste Mal, dass ich etwas üben sollte, bei dem du am Anfang in einer unterlegenen Position sein solltest.
Und das hat mich innerlich so entsetzt, dass ich vor lauter Überraschung einfach Nein sagte.

Der Jähzorn nahm dich sofort mit. Das Gebrüll war infernalisch und ich war so überfordert, dass ich weinend zusammenzuckte.
Das hat dich nur noch wütender gemacht. Meine Mutter kam irgendwann dazu und forderte mich genervt auf, doch einfach zu tun, was du verlangst. Und ich konnte nicht. Da war sie wieder, diese Sperre in mir. Ich konnte einfach nicht.

Luftnot ist meine Nemesis, damals wie heute. Waterboarding, Würgespiele, unter Wasser gedrückt werden, es war immer die größte Herausforderung für mich. Ewiger Versager. Zu hoher Herzschlag, Panik, keine Regulation. Ich kannte die Kritik. Und ausgerechnet dir das Unvorstellbare anzutun, und sei es nur im Spiel - ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht.

Wir brüllten inzwischen alle durcheinander und ich hatte keine Ahnung, wohin das führen würde. Du versuchtest, mich mit Gewalt dazu zu bringen, dich zu würgen und ich hing da an dir wie ein nasser schlaffer weinender Sack und brüllte nur wütend Nein!

Es entbehrt in der Rückschau nicht einer gewissen Komik, dass es ausgerechnet deine eigene Verzweiflung war, die dich immer zorniger hat werden lassen.
Und dann schrie ich aus Leibeskräften die Worte, die alles veränderten. Ich werde dir nicht wehtun, Dad. Ich kann nicht. Ich will nicht.

Die Enttäuschung, die über dein Gesicht zog, werde ich wohl nie vergessen. Es war der Moment, in dem du alle Hoffnung, die du jemals in mich gesetzt hast, aufgegeben hast. Kein Elitekämpfer. Kein Übermensch. Keine perfekt nach deinen Vorstellungen geformte und beliebig programmierbare neue Menschenklasse. Wir hatten beide versagt. Es war der Moment, der für dich wohl den Tiefpunkt deiner Vaterschaft darstellte.

20 Jahre später haben wir uns ausgetauscht und du hast dir immer verbeten, über „emotionalen Mist“ aus meiner Kindheit sprechen zu müssen.

Das Einzige, was du mir geschrieben hast, war, dass du mich einige Jahre geliebt hättest. Dass du große Erwartungen in mich gesetzt hattest. Und dass ich und meine Fehlentscheidungen eine solche Enttäuschung für dich waren, dass du nicht anders konntest, als dich von mir abzuwenden.

Vielleicht konnte mir nichts Besseres passieren.

Kati 06.08.2022, 14.44

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Heike Schröder

Ich habe mit Entsetzen gelesen,was dir nur an diesem Tag angetan wurde. Habe keine Vorstellung davon,wieviel du noch ertragen haben musst. Ich würde gerne deine ganze Geschichte hören,weiß nicht ob ich nur das Hören ertragen könnte. Und du musstest das aushalten. Wie können Menschen/ Eltern ihren Kindern nur soviel Leid zufügen. Aber es zeigt mir auch,dass man die Wahl hat anders zu werden. Liebevoll und alles was du heute bist. Schön,dass du durchgehalten hast. In Liebe Ivys Frauchen

vom 07.08.2022, 12.26
3. von Karin Biener

Und wieder bleibt mir die Luft weg vor Entsetzen. Und daß Du so Widerstand geleistet hast, ist bewundernswert. Ich hätte das wahrscheinlich nicht so gebracht. Ich würde am liebsten nicht mehr davon lesen. Kann nicht mal fiktive Thriller gut ab. Ich bleibe dabei, wenn Du es zulässt. Wenn es hilft.

vom 06.08.2022, 20.37
2. von Bianca Grothe

Ich höre aktuell "der Menschenmacher" und das Buch klingt als wäre die Hauptperson dein Bruder gewesen. Was für ein sadistischen Vater, was für eine kranke Kindheit. Es ist unglaublich das du in der Lage bist so viel Liebe für andere aufzubringen.

vom 06.08.2022, 16.06
1. von Ute

Du hast gewonnen.
Du bist der Anfang.

vom 06.08.2022, 15.02


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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