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Ein unmoralisches Angebot

Ich habe in meinem Leben viele außergewöhnliche Angebote abgelehnt.
Es gab da allerdings diesen älteren französischen Geschäftsmann, der oft bei uns zu Gast war. Ein charismatischer Mann mit dem Ego eines ruhigen, tiefen Sees.
Alles an ihm strahlte Souveränität, Erfahrung und Männlichkeit aus.

Er plauderte nett mit mir am Telefon, flirtete charmant, kam pünktlich, war höflich und während er mit den ein bis zehn gebuchten Damen verschwand, unterhielt ich mich ebenso nett mit seinen Bodyguards, die bei mir meistens eine Cola tranken, Zigarette rauchten und eine sympathische Schwäche für den neuesten Klatsch aus Königshäusern hatten.

Wie immer ging nach drei Stunden die Tür auf und er sah genauso perfekt aus wie bei seiner Ankunft. Frisch geduscht, mit einem Geruch wie Himmel und Erde gleichzeitig.
An diesem Tag trat er dicht vor mich, sah mir tief in die Augen und flüsterte: Ich würde Ihnen alles bezahlen, was Sie verlangen, wenn ich mit Ihnen schlafen dürfte.

Ich lächelte. Dieser französische Akzent würde mich irgendwann noch mal umbringen. Nein, sagte ich. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals hätte widerstehen können, wenn er mir kein Geld geboten hätte. Ich vermute nicht. Aber so funktionierte seine Welt eben. Ein Telefonat, heute Abend? Nur Sie und ich? Ich lasse Ihnen jetzt das Gleiche da, was ich für mein amusement eben bezahlt habe und dafür erzählen Sie mir heute Abend eine Gute-Nacht-Geschichte? Nichts... Eindeutiges. Nur Ihre Stimme.
Ich habe das Geld genommen. Es war ein Monatsverdienst. Und es war tatsächlich eine Gute-Nacht-Geschichte. Er war immer der perfekte Gentleman. 

Mit der Zeit wurden wir vertrauter miteinander. Wir telefonierten mehrmals die Woche, zusätzlich zu seinen Besuchen im Etablissement. Und nach einigen Monaten offenbarte er mir seinen drängendsten Wunsch: Er wollte mit mir zu Abend essen, ein Candlelight Dinner. Er würde seinen Privatkoch herbringen lassen. Und um uns herum würden Menschen Sex haben. Die Summe, die er mir dafür bot, war genug Geld, um für ein Jahr meinen Lebensstandard zu halten.

Das berufliche Leben dieser Zeit ließ mich in eine ganz andere Welt eintauchen als die, in der ich meinen Alltag lebte und ich genoss jede Sekunde davon. Alles war so lebendig, so intensiv, so sünd- und lasterhaft, eine Parallelwelt neben meiner. Ich hatte die Verbindung dieser beiden Welten durch unsere Telefonate bereits zugelassen, zögerte nun aber, den nächsten Schritt zu gehen. Die immer höher werdende Summe und meine Abenteuerlust ließen mich schließlich ja sagen. 

Und so saß ich am mit Abstand seltsamsten Abend meines Lebens in voller Abendgarderobe, hochgesteckten Haaren, Diamanten um den Hals und einem Glas Champagner in der Hand an einem Tisch, aß das Essen eines Sternekochs, hörte eine Klaviersonate von Mozart und unterhielt mich angeregt mit dem attraktivsten Mann, den ich bis dahin kennengelernt hatte über charmante Belanglosigkeiten, während um uns herum Menschen miteinander Sex hatten.

Als ich diesem Leben den Rücken kehrte, bedauerte ich den Abschied von ihm am meisten.

Kati 21.09.2020, 10.00

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Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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