Ausgewählter Beitrag

gebären [Warten auf den Tod]

Wir warten.

Er ist schon hier. So greifbar, so spürbar. Überall.
In jeder Bewegung, in jedem Moment, in jedem Atemzug.

Sie keucht mehr als das sie atmet.
Von Zeit zu Zeit gehen die Augen auf.

"Wasser, Uroma?"

Nein. Die Bewegung ist kaum wahrnehmbar.
Aber es ist ein Kopfschütteln.
Sie ist klar in diesen Momenten.
Sie weiß, wohin der Weg führt und sie muss ihn nicht einmal mehr gehen.
Nur warten.

Er sieht uns zu.

Heute Nacht, als ich um halb 2 Uhr in ihr Zimmer geschlichen bin, um zu sehen, ob sie noch atmet, habe ich ihn spüren können.

Nicht kalt, nicht erschreckend.
Nur dort.
So wie er auch während meiner Geburten spürbar war.
Leben und Tod gehören untrennbar zusammen.

Er steht an ihrem Bett und wartet.
So wie wir warten.
Und sie.

Die Kinder gehen abwechselnd in ihr Zimmer.
Das Zusatzkind, das der eigenen Mutter letztes Jahr beim Sterben nicht zusehen durfte, holt hier nach, was ihre Seele braucht.
Heilung.
Sie erzählt. Von Gott und der Welt.
Hält ihre Hand und weint.
So kostbar, diese Tränen.

Das große Tochterkind bricht seinen Urlaub ab und wird gleich mit seinem Vater und der Stiefmutter hier sein.
Und mit uns warten.

Die kleinen Kinder streicheln Uroma, gehen um ihr Bett und horchen auf ihre Atmung.
Horchen auf ihren Herzschlag.
Begreifen den Tod ohne es zu wissen.

Wir warten. Gemeinsam.

Kati 30.07.2017, 14.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Sandra

Oh meine Güte, es klingt verrückt, das zu sagen, aber das ist wunderbar... Ihr seid stark!

Ich wünsche ihr und euch, dass er sie behutsam mitnimmt und ihr ein guter Weggefährte für diese letzte Reise ist.

Liebste Grüße
Sandra

(nach so vielen Jahren Mitlesen und -fühlen will ich fast auch direkt losfahren... )

vom 30.07.2017, 15.09
Antwort von Kati:

Danke. <3


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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