Seit ich denken kann, wurde bei meinen Großeltern das
gute Geschirr nur zu besonderen Anlässen auf den Tisch gestellt. Das konnte ein großes Familienessen sein, bei dem das Besondere war, dass wir uns nicht zu fünft oder zu mehr in die winzige Küche quetschten, sondern ins auch nicht viel größere Wohnzimmer wanderten, wo der Couchtisch ausgezogen und mit Tischdecken geschmückt wurde.
Oder ein Weihnachts- oder Osteressen.
Zur goldenen Hochzeit stand natürlich das gute Geschirr auf dem Tisch, zur Diamantenen auch. Ansonsten blieb es im Wohnzimmerschrank.
Gemeinsam mit dem guten Besteck und den Kristallgläsern.
Diese Dinge hatten sie sich in jungen Jahren nach der Eheschließung zusammengespart.
18 Teller, Tassen, Suppenteller, Untertassen, Kuchenteller, mehrere Terrinen, Schüsseln in jeder Form und Größe.
Sauciere, Zuckerpott, Butterdose, was man sich nur vorstellen kann.
Ebenso 18 Mal jede Art von Kristallgläsern und Besteck.
Alles nur für gut.
Im Alltag gab es zusammengewürfeltes billiges Geschirr, das hässlicher nicht hätte sein können.
Als Uroma ins Heim kam, bat sie uns - falls wir es haben wollten - Geschirr, Besteck und Kristallgläser zu übernehmen.
Ich hatte besonders die Teller schon immer geliebt.
Dieses feine Porzellan, mit dem ich wohlig warme Erinnerungen an das Zusammensein mit meinen Großeltern verbinde. Liebevoll selbstgekochte Mahlzeiten mit frischen Zutaten waren etwas, das bei mir zuhause nur die Ausnahme war.
Also übernahm ich es und tauschte mein Alltagsgeschirr dagegen ein.
Als Uroma uns das erste Mal besuchen kam, war sie schockiert, dass sie dort auf ihrem guten, jahrzehntealten Geschirr plötzlich Nutellabrote für einen Dreijährigen wiederfand.
Ich versöhnte sie ein bisschen mit der Welt, indem ich ein mehrgängiges Weihnachtsmenü auf den Tisch (und das Porzellan) brachte und damit meine Sünde ein wenig relativierte.
Wir sprachen trotzdem nie wieder davon.
Bis wir sie zu uns nach Hause holten, damit sie die letzten Monate vor ihrem Tod noch bei uns verbringen konnte.
Da fand sie plötzlich jeden Tag das gute Geschirr und das gute Besteck auf dem Alltagstisch einer nun 9köpfigen Familie wieder.
Und nach einigen Wochen gestand sie mir leise, dass es schön sei, zu erleben, dass wir ihr Geschirr jeden Tag hervorholten und davon aßen.
Sie würde so oft daran denken, dass damit ein Teil von ihr bei uns bleiben würde, wenn sie gehen würde.
Und so ist es auch.
Jede Mahlzeit.
Jeden Tag.