Ausgewählter Beitrag

Mein geliebtes großes Tochterkind.

Ich schreibe dir hier, weil du es so nicht lesen wirst.
Ich habe in den letzten dreineinhalb Jahren unzählige E-Mails, Briefe, WhatsApps geschrieben. Immer auch um den unendlichen Schmerz in meinem Herzen kreisend, den ich einfach nicht unter Kontrolle bekomme. Worte, auf die du nie antworten wolltest. Du hast dich allem entzogen, was deinem ganz persönlichen Neuanfang nicht dienen wollte.
Ich arbeite daran.
Seit Jahren.
Mit Hilfe.
Allein.
Laut.
Stumm.
Er wird nicht kleiner. Der Schmerz verstummt nur in stiller Resignation zwischen den Tagen, an denen er an die Oberfläche taucht und schier nicht auszuhalten ist. So wie heute. Ich habe gestern die letzte Nachricht an dich gelöscht, die ich geschrieben habe. Dort stand zu viel Herz. Zu viel Schmerz. Will dich nicht bremsen, nicht runterziehen. Du hast mit uns schon längst abgeschlossen – wer bin ich also, dich immer daran zu erinnern, dass der farbenprächtig funkelnde Palast deines jungen Lebens auf den Scherben einer ganzen Familie gebaut ist? Dieser Gedanke ist unfair und ich weiß das. Darum belästige ich dich nicht mehr mit mir, mit meinen Gefühlen, mit meinem Schmerz. Es reicht, wenn ich ihn trage. Die Mutter, die du verlassen hast, bin ich längst nicht mehr. Aber wen interessiert das, nicht wahr?

Was tut man, wenn einer fertig mit der Aufarbeitung ist und der andere nicht? Es gibt keine Lösung. Meine einzige Strategie, dies hier nicht in deinen Rucksack zu packen, ist Schweigen. Das packt ein anderes Gewicht in dein Reisegepäck, aber mir scheint es erwünschter. Ich schreie meinen Schmerz schon lange nicht mehr in die Welt, auch wenn der Sturm tobt. Die Trauer. Ich habe dich verloren und nichts, aber auch gar nichts wird dich zurückbringen. Die Zeit hat das ihre getan und inzwischen bist du erwachsen und die Zeit, die wir verloren haben, ist unwiederholbar. Es bleibt nur Akzeptanz.

Es wird das vierte Weihnachten ohne dich.
Irgendwann wird das nicht mehr weh tun.
Irgendwann.

Kati 14.12.2021, 08.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

4. von Fukurou

Liebe Jadekompendium,
ich hoffe, das ist okay, dir so zu schreiben, aber ich wollte Danke sagen. Dieser Eintrag hat mich betroffen gemacht wie kaum ein anderer auf Deinem Blog.
Die unfassbare Liebe, die ich in diesen Zeilen für das große Tochterkind lese, aber auch der Schmerz und die Akzeptanz, die ihre Entscheidung für dich bringt...
Es gibt mir gleichzeitig Hoffnung, macht mich aber auch traurig.
Ich habe so einen Bruch mit meiner Mutter gerade hinter mir - und wenn ich irgendwie kann, will ich verhindern, dass wir in diese Richtung weitergehen.
Und dann denke ich - ich komme ja kaum mit mir selbst zurecht. Wer war sie denn? Wer bin ich denn? Wie war die Beziehung zwischen uns beiden bisher? Tut die Grundlage, auf der sie gebaut ist, mir gut? Habe ich die Kraft, eine neue zu legen?

Ich weiß es nicht - aber ich werde den Weg gehen. Wird kein einfacher, aber der richtige. Ich weiß noch nicht, wie und wo wir ankommen werden, aber für mich und uns muss ich es versuchen. Dieser Text hat mir ein Stückchen mehr Kraft dafür gegeben, es zu versuchen, nicht aufzugeben, Hoffnung zu haben.
Danke.

vom 31.01.2022, 18.25
3. von Michaela Süshardt

Liebe Jadekompendium, wenn ich Deine Zeilen lese, kommen mir unwillkürlich die Tränen. Das erinnert mich an mein Verhältnis zu meiner Mutter ( nur ist meine Mutter diejenige, die sich von mir abwandte, als ich 12 war ). Ich versuche das mit allen Mitteln zu verdrängen, funktioniert aber nicht immer. Du hast mit Sicherheit mehr Leid in Deinem Leben erfahren, als man ertragen kann. Das sollte Niemand müssen… Ich bewundere Dich für das was Du bist und was Du aus Deinem Leben machst und wünsche Dir alles, alles erdenklich Gute und Liebe für Deine/Eure Zukunft.
Für das was man fühlt gibt es keinen Rat. Wie ich schon einmal schrieb: ich bin, seit ich Deine Zeilen lese, demütiger geworden…
Mit vielen lieben Grüßen und Euch morgen einen wunderschönen Tag

Michaela Süshardt

vom 30.12.2021, 18.33
2. von Michaela Süshardt

Liebe Jadekompendium, wenn ich Deine Zeilen lese, kommen mir unwillkürlich die Tränen. Das erinnert mich an mein Verhältnis zu meiner Mutter ( nur ist meine Mutter diejenige, die sich von mir abwandte, als ich 12 war ). Ich versuche das mit allen Mitteln zu verdrängen, funktioniert aber nicht immer. Du hast mit Sicherheit mehr Leid in Deinem Leben erfahren, als man ertragen kann. Das sollte Niemand müssen… Ich bewundere Dich für das was Du bist und was Du aus Deinem Leben machst und wünsche Dir alles, alles erdenklich Gute und Liebe für Deine/Eure Zukunft.
Für das was man fühlt gibt es keinen Rat. Wie ich schon einmal schrieb: ich bin, seit ich Deine Zeilen lese, demütiger geworden…
Mit vielen lieben Grüßen und Euch morgen einen wunderschönen Tag

Michaela Süshardt

vom 30.12.2021, 18.00
1. von Regina

Mir fehlen die Worte. Aber ich spüre deinen Schmerz mit jeder Faser. Es tut mir so unendlich leid.

vom 14.12.2021, 17.11


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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