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Qual

Es sind Nächte wie die vergangene, auf die Tage wie heute folgen.
Voller Hass, Selbstzweifel, Trauer und Wut.
Voller Hätte und Wenn und Wäre.
Voller Trauer vor allem.
Wenn ungeweinte Tränen aus zwei Jahren in die Augen steigen und man nichts dagegen tun kann.
Außer weinen. Was man sich geschworen hat, wegen diesem Menschen nie wieder zu tun.
Auch wenn es das eigene Kind ist.
War?
Ach, ich weiß es ja nicht.

Die Zweifel sind groß und die kleine Menge der Menschen, die zum tausendsten Mal die tragische Geschichte meines Verlusts anhören wollen, tendiert inzwischen gen Null. Was ich sogar verstehen kann. Ich kenne alle Es ist jetzt schon lange hers, alle Sie ist ja nicht aus der Welts und vor allem alle Das wird irgendwann schon wieders.

Und ich zerbreche allein beim Gedanken an einen weiteren Allgemeinplatz, eine weitere Floskel, eine weitere sensationslüsterne Nachfrage. Ich kann das nicht mehr und ich will das nicht mehr.

Natürlich haben wir das aufgearbeitet. Dutzende Stunden mit und ohne Supervision darauf verschwendet, die Lage und jedem nur denkbaren Gesichtspunkt zu beleuchten und zu zerkauen. Intellektuell ist alles gesagt.

Das Herz schreit immer noch. Laut. Verzweifelt. Es gibt keinen Trost.
Will in den Arm nehmen, festhalten, nie wieder loslassen.
Will die Zeit zurückdrehen und irgendetwas anders machen.
Egal was.
Alles, wenn es nötig sein sollte.
Es ist müßig. Sie kommt nicht zurück. Ich kann sie nicht zu Kontakt zwingen. Zu Antworten schon gar nicht. Zwei Jahre ohne mein Kind. Ohne zu wissen, wie es ihr tatsächlich geht. Nur mit der Ahnung, mit hingeworfenen Brocken von Jahr zu Jahr, mit Bruchstücken aus Polizeiberichten, und mit ganz viel vorgespieltem Alles in Ordnung. Mit Schweigen. Vor allem mit Schweigen.

Und einem in unendlich viele Stücke zersprungenen Mutterherz, das kaum noch in der Lage ist, irgendetwas zu empfinden.

Kati 01.06.2020, 07.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

3. von Tina

"Es ist jetzt schon lange her"
Auch wenn es hundert Jahre her ist, verdammt!!

"Sie ist ja nicht aus der Welt"
Doch, sie ist aus Deiner Welt...

"Das wird irgendwann schon wieder"
Nein. Ich hoffe und wünsche Euch, dass es irgendwann wieder anders, besser wird. Aber so wie vorher, wird es nie wieder.

Du weißt das alles und wer Dir solche Floskeln entgegenbringt, hat doch keine Ahnung wie weh es tut.

Ich kann Dir keinen Trost spenden. Natürlich ist Dein Mutterherz zerbrochen. Und niemand kann es flicken.

Ich schick Dir eine Umarmung und ganz viel Verständnis.



vom 10.06.2020, 11.07
Antwort von Kati:

.
2. von Sabine Kerschbaumer

Hallo,

bei mir ging es in Jahr 6... und dann, auf einmal, eine Whats App. Erst alle vier Wochen, nun alle 2 und vorsichtige Telefonate. Ganz kurze, aber immerhin, die Stimme des Kindes.

Ich konnte im Laufe der Jahre immer besser mit der Situation umgehen, habe die Hoffnung aber nie verloren. Und jetzt hoffe ich, dass auch bei Dir irgendwann eine Kurznachricht ankommt oder das Telefon klingelt. Ich bin mir sicher, das wird so sein.

Lieber Gruß

vom 09.06.2020, 21.51
Antwort von Kati:

Es ist so frustrierend. Und tut so weh, wenn es hochkommt. Es wird zwar besser mit der Zeit, aber manchmal erwischt es einen doch noch volle Breitseite, wenn man gar nicht damit rechnet.
Es ist so viel Enttäuschung und Wut da, die sich nicht auflösen kann, weil keine Aufarbeitung MIT ihr stattfindet.
Vielleicht wird das auch nie passieren. 

Vielleicht kann man dem Kind dann nur still und leise das Beste für sein Leben wünschen und dass es glücklich wird?

1. von Melanie

[Ich bin da. Immer. Falls dir wer zuhören soll.]

vom 06.06.2020, 21.32
Antwort von Kati:

Danke!


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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