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Sommerferien

Ein Tag, der damit beginnt, dass das Kind, das sich mit sozialen Interaktionen schwer tut, vor meinem Bett steht, was ohne Anklopfen per se schon nur im Notfall passieren darf, mich dann aber auch noch eindringlich fragt, ob der Mann arbeitet und das dann auch schon der gesamte Gesprächsinhalt gewesen sein soll, während ich mühsam versuche, meine Aggressionen in den Griff zu bekommen und mich auf meine Rolle als Mutter zu besinnen, kann ja im Grunde nicht sehr gut weiterlaufen. Und prompt setzt die selbsterfüllende Prophezeiung Migräne als das Mittel ihrer Wahl ein, die mir nur noch ein kleines Fenster Zeit lässt, mich irgendwie zum Medikamentenschrank durchzukämpfen. Auf dem Weg dahin plaudernde große Kinder, die früh wach und grausam motiviert sind, gemeinsam Sport zu treiben. Ich sehe das große Kind erstmals wieder seit Wochen seinem schwarzen Sumpf ensteigen und wenngleich es nicht Aufgabe der kleinen Schwester sein darf, ihn da rauszuholen, ich bin gerade einfach dankbar, dass es sich jetzt so ergeben hat. Ich kenne die Unsicherheiten und Ängste, die er kultiviert und in einer Familie voller Menschen, die einfach anpacken, was sie sich vornehmen und dann auch erfolgreich sind, ist sein Standpunkt vermutlich der Schwerste. Und so oft ich mich bemühe, in leichter Sprache zu bleiben, alles runterzubrechen, immer meinen eigenen Anteil zu verstecken - er sieht mich ja mit seinen Geschwistern - erlebt das intellektuelle PingPong, die andere Sprache, die andere Humorebene, die Themen, mit denen er nichts anfangen kann und ich sehe den Frust, nichts verstehen zu können, so sehr er sich auch bemüht. Und in einer Welt, die Menschen wie die Kriegerin und den Butz hofiert, weil sie intellektuell nicht nur der Norm entsprechen, sondern das augenscheinlich wertvollste Gut dieser Gesellschaft - intellektuelle Leistungsfähigkeit - mit der groben Kelle zugeteilt bekommen habe, hat er es doppelt und dreifach schwer. Die Jahre Schule haben ihre Spuren hinterlassen.
Der Wert, den er verzweifelt sucht, liegt schon in ihm. Und er sieht es noch nicht. Es macht mich hilflos, als Mutter daneben stehen und zusehen zu müssen, wie er gegen die Wände anrennt, die für ihn gar nicht relevant sind. Es könnte alles so einfach sein.

Kati 08.07.2024, 08.00

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Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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