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Vom Ziehen lassen

Der kleine Sohn streitet sich mit dem großen Bruder.
Wir haben mal wieder eine Phase der absoluten Vergötterung gepaart mit kontinuierlichem Sägen am Stuhl des Großen.

Also habe ich hier morgens zwei sehr sportliche, sehr mobile und laute Wettkämpfer, die durch mein Erdgeschoss toben, wüten, schreien, springen und spielen. Der große Sohn übt Nachsicht und lächelt milde, als der kleine Bruder zum wiederholten Male aus dem Hinterhalt angreift und auf seinen Rücken springt.
Ich liebe ihn sehr für dieses Lächeln.

Die Schulzeit naht und während sich der große Sohn seine riesigen Schuhe schnürt, ist der kleine Sohn mal wieder beim "Du hast aber...!"-Spiel angekommen. "DU hast aber gesagt, dass...", brüllt es in piepsiger Stimme durch die Diele und als Anwort kommt nur noch ein beruhigendes "Nein, das habe ich nicht gesagt, mein Süßer." vom großen Sohn, dessen bester Freund schon vor dem Gartentor steht und auf ihn wartet, damit sie gemeinsam zum Bus gehen können.

Das Nesthäkchen holt zum vernichtenden Schlag aus:
"Wohl! Dein linker Fuß hat das gesagt!"


Der Große sieht mich erst entgeistert an und grinst dann sein verschmitztes Lächeln, in das ich mich auch bei seinem Vater sofort verliebt habe.
"Mama, da fällt mir jetzt leider auch nichts mehr zu ein, das musst du jetzt mit ihm klären."

Spricht es, umarmt mich, küsst mich so beiläufig auf die Wange, wie wohl nur pubertierende Jungen es tun können und ich ahne, welch großartiger Mann mein Sohn einmal sein wird.

Der Kleine springt ihn von der Seite an und jault ein wehklagendes "Bis heute Nachmittag!" in sein Bein, während ich ihn vorsichtig von seinem großen Bruder löse und auf den Arm nehme.
Er weint, als wir hinter ihm herwinken und jammert - wie jeden Morgen - "Ich will nicht, dass er jetzt geht!" in meine Halsbeuge.

Und ich verstehe ihn so gut.
Nichts in diesem Leben tut so weh wie das Loslassen geliebter Menschen.
Und nichts ist wichtiger.

Kati 07.02.2017, 09.00

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Sandra

Ich lese immer bei Dir. Und meistens fehlen mir einfach die Worte für einen passenden Kommentar zu Deinen Texten. Wollte Dich das nur wissen lassen...


vom 15.02.2017, 09.01
Antwort von Kati:

Danke dafür. Liebe Grüße an dich.


Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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