Psychologensitzung beim Zahnarzt

Ich warte, dass die Betäubung wirkt. Normalerweise verlässt der beste Zahnarzt dieser Welt währenddessen den Raum, damit ich mich noch einmal etwas beruhigen kann und die wunderbarste Zahnarzthelferin des Universums kramt hier und dort etwas um mich herum, streichelt meinen Arm, über meinen Kopf, murmelt beruhigende Worte oder verwickelt mich in ein Gespräch über Belanglosigkeiten. Nicht so diesmal. Der große russische Bär, der nebenberuflich mein Zahnarzt ist, bleibt sitzen. "Jetzt erzählen Sie mal." Abwartend blickt er mich an. Flüssig schildere ich die Fakten, wie in den letzten sechs Monaten so häufig. Ich kenne mein Verslein. "Nein!", unterbricht er mich. Er tippt mir auf die Brust. Ein erbostes "Da!", kommt in schleppendem russischen Akzent aus seinem Mund. "Können Sie das DA tragen? Oder ist zuviel?" Mir schießen die Tränen in die Augen, wie so oft, wenn mich jemand tatsächlich sehen kann. "Ich versuche es.", flüstere ich und beschließe, auf gar keinen Fall vor meinem Zahnarzt zu heulen. Die beste Zahnarzthelferin reicht mir Taschentücher, die eigentlich für die Behandlung gedacht waren und streichelt mir über den Arm. Nach einem langen Gespräch sind mein Kiefer und meine Lippe längst taub, als er sich brummend an die Arbeit macht und ich merke, wie ich innerlich zusammensacke. Es ist selten, dass wir mit jemandem offen darüber sprechen können, was diese Situation für unser Leben bedeutet. Die normale Reaktion unseres Umfeldes ist ein "Och, also ich könnte das nicht." oder ein wohlwollendes "Ihr schafft das schon.". Wirklich wissen, welchen Preis wir zahlen, will kaum jemand. Als er fertig ist und ich mit halb taubem Gesicht in den Spiegel blicke, nickt er entschlossen. "Wir machen Termin mit allen Kindern. Ich sehe mir Kinder und Zähne an. Dann wir sehen weiter." Ich grinse schief und muss wie jedesmal an meinen Großvater denken, dem dieser Mann und diese Situation sicherlich völlig normal vorgekommen wären.

Kati 21.12.2016, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Alltag

Vom Lügen

Natürlich habe ich eigentlich keine Zeit. Und natürlich habe ich etwas anderes vor. Und natürlich liegt ihr Zuhause nicht auf meinem Weg. Nicht mal ein bisschen, nicht einmal fast. Aber als ich die Tränen in ihren Augen sehe, ihre Hilflosigkeit, ihren Trotz, ihre Wut, ihre Trauer und die Unfähigkeit, eine gute Tat auch einfach als Geschenk anzunehmen, lüge ich. Es ist wie eine zweite Haut, ich kann das gut, auch wenn ich mich vor langen Jahren dagegen entschieden habe. "Wirklich?", fragt sie mit erstickter Stimme und ich nicke lächelnd. Es ist mir egal. Und so fahre ich Kilometer um Kilometer in eine Richtung, in die ich nicht fahren wollte, dränge die Gedanken um den kleinen Braunbären alleine Zuhause zur Seite und höre zu. Niemand sollte bei einem Nervenzusammenbruch alleine sein. Niemand mit Angst, niemand in Not. Schon gar nicht, wenn es um die existenzielle Angst geht, ein weiteres Kind zu verlieren. "Der Tod hat doch schon eins!", bricht es trotzig aus ihr heraus. Ich kann nichts sagen. Nur zuhören. Als wir schon längst vor ihrer Haustür stehen, sitzen wir noch eine weitere Stunde nebeneinander, in der sich die Worte, die Tränen und all der Schmerz aus ihr in meine Welt ergießen. "Danke", flüstert sie leise, während sie ihre Maske wieder aufsetzt. Das laute Knallen der Beifahrertür durchbricht meine Gedanken. Ich fahre los. In die Richtung, aus der ich gekommen bin. Vielleicht hat das Leben einen Plan. Aber wer weiß das schon.

Kati 19.12.2016, 11.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag

Schwere.

Es ist zwei Jahre, drei Monate und 19 Tage her, seit das kostbare, zart schimmernde und zerbrechliche Gefäß namens Sicherheit und Vertrauen in meinem Herzen implodiert ist. Lange Zeit. Kurze Zeit. Eine Zeit voller Schmerz, Hass und... Liebe. Vor allem Schmerz und vor allem Liebe. Aber das negiert nicht den Hass. Das Gefäß ist im Laufe dieser zwei Jahre wieder zusammengeklebt worden. Immer und immer wieder ausgebessert. Es füllt sich nicht mehr so gut wie vorher. Es sind an vielen Stellen kleine Löcher geblieben, deren Scherben wohl unwiederbringlich verloren gegangen sind. Die Klebe- und Bruchstellen geben unter Druck nicht mehr so leicht nach wie noch vor einem Jahr oder einem halben, aber das Gefäß ist nicht mehr das, was es vorher war. Die Aussicht darauf, dass es das auch niemals mehr sein wird, bringt mein Herz an manchen Tagen schier zum Zerreißen.
Wissen kann man nicht zurückgeben.

Kati 05.12.2016, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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