gegen Windmühlen

Er sitzt vor unserem Supermarkt und spielt Akkordeon.

Mein gesamtes Münzgeld wandert in den zerrissenen Karton, der vor ihm steht und ich lächle ihn an.
Er lächelt zurück.
Ich mag sein Instrument - es scheint schon viele Orte gesehen zu haben.
Ich höre den einen schiefen Ton und sehe das abgeschrabbelte Leder der Gurte.

Es erinnert mich an Uropas Akkordeon, das er mir vererbt hat.
Das Akkordeon war vor 35 Jahren mein erstes Instrument, das wirkliche Liebe zur Musik geweckt hat.

"Wozu gibst du ihm Geld?", reißt mich das eine Kind aus meinen Gedanken.

Ich schweige zunächst, weil ich noch darüber nachdenke, wohin es mit seiner Frage möchte.

"Mama fand Bettler immer doof."


Ja, das denke ich mir, sage es aber nicht.
Es ist so viel Menschenverachtung in diesen Kindern, die ich manchmal nur schwer ertragen kann.

"Er bettelt nicht.", antworte ich also nur ruhig. "Er musiziert. Ich habe meine Anerkennung in Form von Geld ausgedrückt."

"Du gibst aber auch Bettlern immer Geld."

"Ja, das tue ich. Weil ich es will und wichtig finde."


Ich überlege, ob ich ein weiteres Mal meine Einstellung zu diesen Dingen erklären soll.
Ich entscheide mich dagegen.

Meine Kinder kennen meine Sicht auf diese Welt und die Zusatzkinder haben in über einem Jahr sehr wohl mehr als nur einen flüchtigen Blick darauf werfen können.
Ich habe im vergangenen Jahr so viel geredet wie in den ganzen 14 Jahren Mutterschaft davor nicht.

Und irgendwann ist der Punkt gekommen, an dem das keinen Sinn mehr macht.
Ich muss ihre Leben nicht leben.

Sie entscheiden selber, was sie für Menschen sein wollen.

Kati 30.08.2017, 12.00| (3/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Der letzte Atemzug

Es ist heute genau 14 Tage her, dass ich wie jeden Morgen in Uromas Zimmer getreten bin und gehorcht habe, ob das "Gute Nacht, Oma, schlaf gut." am Abend zuvor das Letzte gewesen war.

"Einfach einschlafen und sterben!", war immer genau das, was sie wollte.
Und wie jeden Morgen dieser Tage hoffte ich, dass sie es endlich geschafft haben würde.

Heute war der 7. Tag ohne Flüssigkeit.

Sie schnurchte vor sich hin. Wie jeden Morgen.

Ich begann meine Morgenroutine und die Kinder tropften nach und nach ins Erdgeschoss

"Wie geht es Uroma?", fragten nacheinander 6 Kinder.

- "Unverändert.", war 6 Mal meine Antwort.

Die Tür zu Uromas Zimmer stand inzwischen immer offen, damit wir jede kleinste Äußerung von ihr auch mitbekommen würden.
Den Notfallknopf an ihrem Handgelenk konnte sie schon seit Sonntag nicht mehr drücken, den hatten wir irgendwann abgemacht.

Um 8 Uhr begann es.
Ich hatte schon viel darüber gelesen, konnte mir aber nicht wirklich etwas darunter vorstellen.

Rasselatmung.

Ich ging hinein und sofort danach entsetzt wieder aus dem Zimmer, weil ich meine eigenen Körperempfindungen kaum unter Kontrolle hatte.
Ich sammelte mich.

Das Geräusch ist kaum zu ertragen. Ich hatte permanent den Drang, mich zu räuspern, zu husten oder einfach nur weit wegzulaufen.
Es war grauenhaft.
Den Kindern ging es ähnlich.
Ich erklärte ihnen, was in Uromas Körper gerade vor sich ging.

Die Kinder räusperten sich permanent und ich sah, wie unwohl den meisten von ihnen war.

Ich erkannte recht schnell, dass sich die Fähigkeit, an Uromas Seite zu bleiben, nach ihrer Empathiefähigkeit sortierte.
Der sensible Kobold, der ohnehin über viel zu viele Spiegelneuronen verfügt, flüchtete panisch aus dem Zimmer und ich hörte ihn auch zwei Stockwerke weiter oben noch krächzen und husten.

Misstrauisch verbrachte er die nächsten Stunden im ersten Obergeschoss und fragte nur noch vom Treppenabsatz aus, ob "Oma noch so komisch atmen würde".

Der egozentrische kleine Tuk dagegen piekte Oma wie immer in die Seite und befühlte Temperatur und Konsistenz ihrer Hände. "Gutn Moaaaagn, Uaoma!". krähte er und für ihn war alles wie immer.

Es war aber nicht wie immer.

Wir begleiteten nun schon seit einer Woche das Sterben.
Der Tod war schon da.
Es würde nur noch Stunden dauern, bis er sie mitnehmen würde.

Wir waren bereit.
Lange Tage schon.
Wir hatten geweint, wir hatten getrauert, geklagt, gebeten.

Meine Tränen waren versiegt.

"Heute ist Freitag, der 4. August, Oma. Morgen wird Papa 70. Morgen."

Sie schlägt die Augen auf. Wie immer, wenn ich von ihrem Sohn redete. Mir tut es weh. Ganz elementar weh. Da ist so viel Hoffnung, so viel Sehnsucht.

"Es geht ihm gut. Er wird aber nicht hierherkommen. Du darfst gehen, Oma. Du darfst ruhig gehen. Hier ist alles in Ordnung."

Ich weiß nicht, ob sie mich hört. Sie hebt die Arme.
Atmet ruckartig ein.
Und nicht wieder aus.
Ich sehe ihre Halsschlagader pochen. Schnell. Endlose Sekunden vergehen.
Dann atmet sie wieder aus. Rasselnd.
Ich muss mich zusammenreißen, um das zu ertragen.

Der Arzt ruft wieder an.
Wie jeden Tag der vergangenen Woche.
Er erkundigt sich nach ihr, fragt, ob wir ihn brauchen, ob er etwas tun kann.
Ich verneine und schildere kurz ihre Symptome.
"Sie halten sich gut.", sagt er noch zum Abschied.

Am späten Vormittg wird Oma unruhig.

Die Atmung wird unregelmäßiger und ich hole die Kinder alle wieder runter.
Dem Mann schicke ich eine Nachricht und er packt auf der Arbeit zusammen und kommt nach Hause.

"Uroma stirbt jetzt bald.", sage ich und die Kinder stehen alle an ihrem Bett.
Ich erkläre ein weiteres Mal, dass wir nicht wissen, welcher Teil des Körpers zuerst aufhören wird zu funktionieren.
Vielleicht die Atmung.
Vielleicht auch das Herz.
Wir wissen es nicht.
Die Rasselatmung wird deutlich leiser.

Stattdessen schnappt Oma nur noch sachte nach Luft und atmet dann wieder aus.

Das Herz galoppiert an ihrem Hals wie verrückt.

Die Kinder fragen noch einmal nach, ob sie Schmerzen haben könnte, das ist ihnen das Wichtigste zu wissen.
Ich verneine.

Zeige noch einmal auf die hochdosierten Fentanyl-Pflaster auf Omas Arm, erkläre, dass sie heute Morgen erst wieder ganz viel Schmerz- und Beruhigungsmittel bekommen hat und dass sie überhaupt keine Schmerzen hat.

Ich kann nur zu Gott beten, dass das auch stimmt.

Es ist 11 Uhr.
Der Mann ist endlich da.

Die Kinder reagieren ganz unterschiedlich
Das große Zusatzkind weint.
Ganz schrecklich.
Ich weiß, dass sie hier gerade heilt.
Sie, die letztes Jahr von ihrer sterbenden Mutter weggehalten wurde und nun das erste Mal in ihrem Leben dem Tod in die Augen sehen darf.

Der Kobold flüstert leise: "Gute Reise, Uroma!"

Das Mottenkind bittet mich, die Fenster weit aufzumachen, damit Uromas Seele gut in den Himmel aufsteigen kann.
Ich erfülle ihr diesen Wunsch.
Wir öffnen im gesamten Erdgeschoss die Fenster und Türen.
Frische Luft weht durch das Zimmer und für einen Moment ist es ganz still.

"Tschüss, Uaomma!", kräht der kleine Tuk und streichelt ihre Hand.

Das große Zusatzkind ist erschöpft und möchte sich einen Moment zurückziehen.
Ich nicke und lächle ihr zu.
"Es ist alles gut.", flüstere ich. Sie nickt.

Die anderen Kinder ziehen sich ebenfalls stumm aus dem Zimmer zurück.
Leise gehen sie nach oben.

Nur das große Tochterkind bleibt dicht an meiner Seite.
Sie hat bislang nichts gesagt.
Keinen Ton.
Der Mann, sie und ich sitzen, stehen an Omas Seite.
Es ist gleich viertel nach 11 Uhr.

Omas Atmung setzt aus.
Wir beobachten die Halsschlagader.
Sie pulsiert.
Langsamer.
Nach einer Minute wieder Atmung.
Mir laufen die Tränen über das Gesicht.
Ich kann nicht mehr.
Ich kann das alles nicht mehr ertragen.

"Wir sind hier, Oma. Wir sind hier bei dir. Es ist alles gut."
Mit letzter Kraft verlassen die Worte meinen Mund.

"Du darfst gehen, Oma.", sagt der Mann leise. "Machs gut!"

Die Atmung setzt wieder aus. Ich warte. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.

Das Tochterkind weint leise. "Gute Reise, Uroma."

Wir blicken auf die pulsierende Halsschlagader.

Noch ein Herzschlag.

Noch einer.

Ruhe.

Ich schlinge die Arme um meine Tochter. Wir alle weinen.

Ein kräftiger Windstoß weht durch das Zimmer und die Bäume vor dem Haus rascheln.

Gute Reise, Oma.

Kati 18.08.2017, 11.00| (2/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Einäscherung mal anders

"Was meinsu mit: Der Gestatter nimmt Uroma gleich mit, Mami?"

Der närrische kleine Tuk steht wie ein Häufchen Elend vor mir und sieht mich entsetzt an.

Ich bin verwirrt.
"Der Bestatter kommt gleich mit starken Männern und dann packen sie Uroma ein und nehmen sie mit zum Krematorium.
Uroma muss ja auch beerdigt werden. Wir können sie nicht noch länger hierbehalten."


Ich sehe Unverständnis auf seinem Gesicht und merke, dass ich den Kernpunkt seiner Frage anscheinend nicht begriffen habe.

"Aber... Aber..!" Tränen stehen in seinen Augen.

"Butzemann. Was ist denn los?"

"Aber Uroma will doch verbrannt werden!", bricht es aus ihm heraus. Er schluchzt.

Ich sehe ihn verständnislos an.

"Ja. Deswegen kommt ja auch der Bestatter. Im Krematorium kann Uroma dann verbrannt werden."

Er wirft sich verzweifelt in meine Arme und weint.

"Aber... Ich dachte, das könnten wir hier im Garten machen!"

Kati 10.08.2017, 12.00| (3/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Die Entdeckung der Langsamkeit

Die Zeit hat sich verändert, seit Uroma tot ist.

Sie vergeht nur noch langsam und sie scheint keine Eile mehr zu kennen.

Ich stehe morgens auf und muss mich nicht wappnen gegen das, was ich gleich hören, sehen und riechen werde.
Ich stehe dort, am Fuße der Treppe und lausche in die Stille.

Was kann ich tun?

Was will ich tun?

Eine Frage, die ich mir schon lange nicht mehr gestellt habe.

Was muss ich tun?

Die Frage ist schon vertrauter.

Die Uhr, die seit einigen Tagen wieder an ihrem angestammten Platz hängt, tickt.
Langsam.

Kinder toben an mir vorbei.

"Wir machen uns selber Frühstück!", kreischen sie.
"Mit viel Nutella!!", kräht das kleinste Kind.

Ich spüre, wie das "Pscht, Uroma schläft noch." meinen Hals hinaufkriecht.
Und spüre, wie das schlechte Gewissen hochploppt wie ein Springkastenteufel.
Wie jeden Tag der letzten fünf Monate.

Nichts von beidem hat noch Relevanz.
Uroma schläft für immer und die Kinder können so laut sein wie sie wollen.

Meine Schultern senken sich wieder und ich atme aus.
Die Uhr tickt.

Was muss ich jetzt tun?

Toilettenstuhl, waschen, Windelhose wechseln, saubermachen, umlagern, Essen vorbereiten, pürieren, kochen, dreimal in die Küche zurückbringen, weil es nicht das Richtige ist, von A nach B hetzen, dazwischen noch Termine für 8 weitere Familienmitglieder koordinieren, umlagern, Tabletten vorbereiten, füttern, Trinken anreichen, saubermachen, Bettwäsche wechseln, Kinder ermahnen, umlagern, saubermachen, alles desinfizieren, saugen, putzen, Wäscheberge waschen, putzen, umlagern, Essen machen, sich anmeckern lassen, sich hilflos fühlen, wütend werden, Wut runterschucken, die Ungeduld spüren, umlagern, saubermachen, putzen, Essen machen, saubermachen, aufräumen, saubermachen, Essen machen, saubermachen, umlagern, weinen, warten, dass der Mann abends nach Hause kommt, zusammenklappen, weinen, ins Bett fallen, zu wenig schlafen und fünf Stunden später das Ganze von Vorne.

Ich atme wieder ein.

Was muss ich jetzt tun?

Nichts.

Ich lächle.

Kati 09.08.2017, 12.00| (2/2) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Oma mit der Uhr dran

Chaotenkinder

Die beiden chaotischen Mittelkinder prügeln sich durch den Garten.

Natürlich erst, nachdem sie die letzten 10 Minuten damit verbracht haben, sich über die Regeln zu streiten.

Soweit ich erkennen kann, haben sie sich geeinigt und gehen nun mit vollem Körpereinsatz aufeinander los.
Ich sitze mit dem großen Tochterkind auf der Terrasse und betrachte das Schauspiel.

Der kleine Braunbär, der mal ein Hund werden wollte, liegt neben mir und fiept aufgeregt, wird aber von mir angeranzt, dass er liegenbleiben muss.
Ich weiß nur zu gut, wohin es führen würde, wenn jetzt auch noch 40 Kilogramm Muskeln mit Reißzähnen in das Geschehen eingreifen würden.

Der Kobold hat einen enormen Reichweitenvorteil durch seine langen Gliedmaßen.
Er ist untergewichtig, besteht aber nur aus Muskelmasse.
An Schnelligkeit und Wendigkeit ist er ihr weit überlegen.

Die Kriegerprinzessin ist fast so groß wie er, wiegt aber über 10 Kilogramm mehr.
Sie hat Masse und kann sie einsetzen.

An Kraft sind die beiden sich ebenbürtig.

Er kann Seine zwar besser und gezielter einsetzen, nimmt aber auch immer noch Rücksicht auf die vermeintlich kleine Schwester.
Ich habe selber schon mit ihm gerungen und weiß, wie es sich anfühlt, wenn er mit voller Kraft dabei ist.
Er ist im Moment zwar noch etwas kleiner als ich, aber da muss ich langsam an den Mann abgeben, weil ich ihm kein guter Trainingspartner mehr bin.

Die Kriegerprinzessin nutzt den Vorteil, den sie durch seine Rücksicht hat, hemmungslos aus.
Ich sehe, wie sie ihn zu Boden gedrückt, ihm die Arme auf den Rücken gedreht hat und verschwitzt und mit völlig zerzausten hüftlangen Haaren lautes Triumphgeheul anstimmt.
Der Hund winselt leise vor sich hin.

Der Kobold keucht und flucht und dreht sich aus ihrer Umklammerung.
Kaum, dass er seine Arme befreit hat, stemmt er sich hoch und steht langsam auf.
Mit ihr auf dem Rücken.
Sie kreischt empört und schlägt von oben auf ihn ein.

"Motte!"
, ermahnt er sie sachte. "Keine Schläge auf Kopf oder Hals!"

Ich grinse.
Regeln sind nun mal Regeln.

Sie schäumt vor Wut, umklammert ihn und lässt sich mit ganzem Gewicht nach hinten fallen.
Beide stürzen zu Boden, beide keuchen auf.
Ein Knäuel aus Gliedmaßen und Haaren rollt über den Rasen und ab und an jault einer der beiden schmerzerfüllt.
Wir haben mal wieder einen Punkt erreicht, an dem keiner der beiden Sturköpfe nachgeben kann.

Das große Tochterkind und ich sind mit unserem Frühstück auf der Terrasse fast fertig und unterhalten uns leise.
"Da heult gleich einer!", stellt sie fachmännisch fest.
Ich nicke.

"So!", rufe ich laut, "Wer räumt mir denn jetzt mal die Geschirrspüle aus?"

Beide drehen den Kopf in meine Richtung.
Sehen sich kurz an und verdrehen die Augen.
"Muss das sein?"

Ich nicke bestimmt.

Beide humpeln murrend ins Badezimmer um sich zu waschen.
Als sie wiederkommen, haben sie sich geeinigt, dass Einer die Unter- und Einer die Oberetage ausräumt.

Die Kriegerprinzessin verkündet lautstark, wieviel Glück der Kobold hätte, dass sie jetzt die Geschirrspüle ausräumen müssten.
Sie hätte sonst bestimmt gewonnen.
Ich lächle milde.
Als sie fertig sind, schmust der Kobold kurz an mir vorbei und flüstert in mein Ohr: "Danke, dass du die Motte gerettet hast. Ich hätte sie ja sonst besiegt. Und dann hätte sie wieder geweint."
Ich muss mir mein Schmunzeln verkneifen und nicke ernsthaft.

Als die beiden lautstark zwei Etagen nach oben turnen, um irgendein neues Projekt zu starten, sieht das große Tochterkind mich grinsend an.

"Du Fuchs!"

Kati 08.08.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: ziehen - beziehen - erziehen

Gelähmt

Wir warten.

Die Wartezeit wird abwechselnd in stoischer Gelassenheit, Wut, Zweifel, Geduld und Verzweiflung begangen.

Es schmerzt, nichts tun zu können.
Es ist unerträglich, auf den Tod zu warten.
Einfach nur zu warten.

Die Marschrichtung ist klar.
Mit jeder Minute, die verstreicht, weicht mehr Leben aus ihr, doch sie ist zäh.

Sie schläft. Meistens.

Manchmal macht sie die Augen auf und blickt mich an.
Aber sie sagt nichts.
Sie reagiert nicht auf meine Bitte um ein Zeichen.
Ein Händedruck, ein Blinzeln, irgendetwas.

Ich bin wütend.
Auf eine Sterbende.

"Papa wird nicht kommen."
, habe ich ihr vor einigen Tagen weinend gesagt.
Denn das wird er nicht.
Nicht für mich und nicht für sie.
Weil er weder mich noch sie jemals geliebt hat.
Ich habe das irgendwann vor Jahren begriffen.
Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben.

Ich bin so wütend.
Auf ihn, auf sie, auf diese Kackwelt.

Sie hat gesummt.
So wie früher, wenn sie es besser wusste.

Ich möchte sie anschreien, wie sie da liegt und so weit weg ist.
Jede Flüssigkeit verweigert, jede Kommunikation, jede Antwort.
Sie will nicht mehr auf dieser Welt sein und ich akzeptiere das.

Aber wir - wir sind noch hier.
Und wir können ihr Sterben weder beschleunigen noch verschönern.
Nur aushalten.

Ich habe mir das anders vorgestellt.

Sie vermutlich auch.

Kati 03.08.2017, 10.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Sterbewache

Ich bin unruhig.

Ich wasche Uromas Wäsche, was angesichts der Umstände völlig bescheuert ist.
Aber so wichtig für mich.
Ich räume auf, ich sortiere ihre Wäsche in den Schrank - ich habe das Gefühl, so wenigstens irgendetwas unter Kontrolle zu haben.

Um 1 Uhr nachts das letzte Horchen auf ihre Atemzüge, um 6 Uhr morgens das erste.
Sie atmet noch. Anders als gestern, anders als vorgestern.

Wir halten Sterbewache.
Abwechselnd.

Die Kinder suchen sich 5 oder 10 oder 15 Minuten aus und sitzen an ihrem Bett.
Ab und zu setzt die Atmung aus, dann geht es wieder weiter.

Es ist absehbar.
Aber ob wir noch 2 Stunden oder noch einen weiteren Tag wachen, das weiß nur der Tod.

Ich sitze an ihrem Bett, wenn die Kinder ihre Wachen beendet haben.
Ich wünschte, sie würde noch sprechen.
Ich bräuchte das noch.
So dringend.
Aber so bleibt nur, ihr zu versichern, dass wir da sind.

Und wenn ich wieder eine Pause brauche, gehen wir alle aus dem Zimmer.
Es muss auch der Raum und die Zeit da sein, wenn sie alleine sterben möchte.
Wir wissen es nicht.
Wir werden es sehen.
So lange wachen wir gemeinsam.

Gleich bin ich wieder dran.

Kati 01.08.2017, 09.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

woanders:







Einträge ges.: 381
ø pro Tag: 0,1
Kommentare: 450
ø pro Eintrag: 1,2
Online seit dem: 21.04.2016
in Tagen: 3167

Do what is right. Not what is easy.
you want. It doesn't matter anyway.