Agonie

Ich bin wach.

Deutlich vor meiner Zeit bin ich wach.

Ich betrete leise ihr Zimmer.
Das erste, das mir auffällt, ist der Geruch.
Dem Hund auch.
Leise jaulend steht er in der Tür und fiept mich an.
Er dreht sich um und flüchtet.

Es riecht... süß. Und faulig.
Es ist eine einmalige Kombination, und ich kenne sie.

Uroma schnurchelt leise vor sich hin.
Schnelle Atemzüge.
Augen, Schläfen und Wangen sind eingefallen, die Gesichtshaut fahl.
Aber sie sieht friedlich aus.

Ich lasse sie noch einen Moment schlafen.
Oder wird es mehr als ein Moment sein?

Ein Todeskampf ist das nicht.

Für heute Morgen wünsche ich uns Ruhe.
Einfach nur Ruhe.

Worauf wartet er?
Oder wartet sie?

Kati 31.07.2017, 06.00| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

gebären [Warten auf den Tod]

Wir warten.

Er ist schon hier. So greifbar, so spürbar. Überall.
In jeder Bewegung, in jedem Moment, in jedem Atemzug.

Sie keucht mehr als das sie atmet.
Von Zeit zu Zeit gehen die Augen auf.

"Wasser, Uroma?"

Nein. Die Bewegung ist kaum wahrnehmbar.
Aber es ist ein Kopfschütteln.
Sie ist klar in diesen Momenten.
Sie weiß, wohin der Weg führt und sie muss ihn nicht einmal mehr gehen.
Nur warten.

Er sieht uns zu.

Heute Nacht, als ich um halb 2 Uhr in ihr Zimmer geschlichen bin, um zu sehen, ob sie noch atmet, habe ich ihn spüren können.

Nicht kalt, nicht erschreckend.
Nur dort.
So wie er auch während meiner Geburten spürbar war.
Leben und Tod gehören untrennbar zusammen.

Er steht an ihrem Bett und wartet.
So wie wir warten.
Und sie.

Die Kinder gehen abwechselnd in ihr Zimmer.
Das Zusatzkind, das der eigenen Mutter letztes Jahr beim Sterben nicht zusehen durfte, holt hier nach, was ihre Seele braucht.
Heilung.
Sie erzählt. Von Gott und der Welt.
Hält ihre Hand und weint.
So kostbar, diese Tränen.

Das große Tochterkind bricht seinen Urlaub ab und wird gleich mit seinem Vater und der Stiefmutter hier sein.
Und mit uns warten.

Die kleinen Kinder streicheln Uroma, gehen um ihr Bett und horchen auf ihre Atmung.
Horchen auf ihren Herzschlag.
Begreifen den Tod ohne es zu wissen.

Wir warten. Gemeinsam.

Kati 30.07.2017, 14.00| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Mein freier Tag

Die drei Chaoskinder sind momentan über Tag alleine mit mir und Uroma zuhause und haben sich etwas ganz Besonderes einfallen lassen.

Meinen freien Tag.

Nach 15 Jahren Mutterschaft gibt es nur zwei Sachen, die alle meine Alarmglocken gleichzeitig klingeln lassen: Wenn "nichts passiert!!!" ist und wenn ich "nichts machen muss".

Ich bekomme also von dem 11jährigen Kobold, der 9jährigen Kriegerprinzessin und vom 5jährigen närrischen kleinen Tuk eine Liste mit Fragen vorgelegt, in der ich alles eintragen soll, was ich essen und trinken möchte und was getan werden muss.

"Abba nicht Uroma den Popo saubermachen!", kräht das kleinste Chaoskind und ich nicke ernst. "Abba sonst alles!"

Alle 10 Tiere versorgen, Frühstück, Mittagessen und Abendbrot machen, saugen und aufräumen und die Geschirrspüle aus- und einräumen.
Donnerwetter.
Die Drei hatten einen Plan.

Bislang kannte ich nur halbherzige Bekenntnisse und verschmierte Dinge, die in meinem Bett ausgekippt wurden, weil "alle Mamis lieben Frühstück im Bett, Mami!".
Aber sie hatten sich wirklich Gedanken gemacht.
Einschließlich des Punktes: Mama darf in Ruhe frühstücken wo sie will.

Ich greife mir einen Kugelschreiber und grinse. Das könnte gut werden.

"Und ich darf den ganzen Tag machen, was ich will?"

Drei Köpfe nicken.

"Also - außer, es ist was mit Uroma. Dann kannst du natürlich nicht im Bett liegen oder so."

"Na klar.", sage ich.

Ich fülle das Formular gewissenhaft aus und freue mich ein wenig.

Der freie Tag bricht an und ich falle in der Morgendämmerung erst einmal von Omas Notrufklingel aus dem Bett.

Aber gut, dann ist der freie Tag ja umso länger. Auch nicht schlecht.

Die drei Chaoskinder stehen fertig angezogen und gewaschen mit Leergut und Einkaufstüten und einem Portemonnaie vor mir, als wir aufbrechen wollen.
Der Kobold hakt die Checkliste ab und fragt mit strenger Stimme seine kleinen Geschwister ab:
Leergut? Check.
Tüten? Check.
Geld? Ich reiche lächelnd einen großen Schein in die Runde. Check.
Einkaufszettel? Check.

Wir fahren in unseren Lieblingssupermarkt und ich übe mich in Vertrauen, als ich die Drei völlig planlos durch die Gänge schliddern sehe.
Wir sind dort natürlich sehr bekannt und mir geht das Herz auf, als ich sehe, dass sie sich ordentlich an die Mitarbeiter wenden, wenn sie Hilfe brauchen.

Ich beschließe, noch ein Stück weiter loszulassen.
Ich kaufe mir ein paar Pflanzen, die es heute im Angebot gibt, lasse an der Kasse noch kurz die Information zurück, dass ich heute einen freien Tag hätte und die drei Kleinen gleich allein an die Kasse kommen würden und ich draußen im Auto warten würde, wenn was wäre. Gluckengefühle.

Die Kassiererin lächelt warm und winkt dem kleinsten Kind zu, das gerade mit einer großen Packung Eiscreme an der Kasse vorbeieilt und den Namen des großen Bruders ruft.
"Ihre Kinder sind so wunderbar."
Ich nicke. Ja, das sind sie.

20 Minuten später kommen die Drei endlich aus der Tür und schieben stolz ihren Einkaufswagen zum Kofferraum.
"Wir haben alles bekommen!"

Mir wird ein Berliner und ein heißer Kakao gereicht und bedeutet, ich könne ruhig auf dem Fahrersitz sitzenbleiben und mein Hörbuch weiterhören, während sie einpacken.

Große Liebe.

[geschrieben beim Brunch am Computer mit einem Laugenbrötchen mit Mayonnaise (sehr viel) und Käse (zu wenig), einer Flasche Wasser, weil sie das falsche Getränk gekauft haben und einem weiteren Berliner. Mit Musik und fast ungestört bis auf einen Notfall, als der Hund fast einen halben Liter Cola getrunken hätte und viermal Notfallklingel zwischendurch von Uroma, weil sie immer noch nicht gestorben ist. Läuft.]

Kati 28.07.2017, 18.00| (2/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: ziehen - beziehen - erziehen

Zerfaserung

Es sind Sommerferien.

Ich erhole mich langsam von meinem Schwindel von vor drei Wochen und arbeite an der Stressreduktion.

Es ist 7 Uhr morgens.

Die Notfallklingel klingelt. Laut.

Ich falle aus dem Bett und hetze zum Empfänger, um ihn auszuschalten, bevor die Ferienkinder davon wach werden.

T-Shirt an, Hose an, bei Uroma rein.
Mit Lächeln auf dem Gesicht.
Es fällt an vielen Tagen inzwischen schwer, aber das muss außer mir ja niemand wissen.

"Guten Morgen, was kann ich für dich tun?"

- "Weiß ich nicht."


Gesicht zur Wand gedreht, mehr ein Krächzen als ein Flüstern.
Augen zu.

Es ist wieder einer dieser Tage.

Vor genau einem Monat hat sie ihren 90. Geburtstag gefeiert.
Seit drei Jahren wartete sie auf diesen Tag, weil mein Vater hoch und heilig versprochen hat, er würde sie dann noch einmal besuchen kommen.
Er kam nicht.

Zwei Tage später wurde sie bettlägrig.
Eine Woche später war der Arzt da.
Höhere Medikamentendosierung, Mobilisierung, Physiotherapie, Ergotherapie, weiß der Kuckuck was noch alles.
Verweigerung auf ganzer Linie.
Verweigerung bei der Körperpflege, Verweigerung bei der Lagerung, passive Aggression.
Jeden Tag ein bisschen weniger.
Eine, zwei, drei, vier Wochen.
Nahrungsverweigerung.
Und dann schließlich: Medikamentenverweigerung.

Unser Hausarzt befragt sie und erklärt ihr die Konsequenzen.
Wir klären die rechtliche Lage, die persönliche, die emotionale.
Freier Wille. Ihre Entscheidung.
Und ja, wir begleiten das..

Hier stehen wir nun und sehen dem Verfall zu.
Im Hinterkopf fragt mich eine müde Stimme, warum ich jetzt aufstehen musste.

Ich straffe die Schultern und lächle.

Wie jeden Morgen.

"Oma, du hast gerade geklingelt. Was können wir denn mal für dich machen?"


Schulterzucken. "Will sterben."

"Ja, ich weiß."
, antworte ich.

Sie schweigt.

Wie jeden Tag.

Kati 27.07.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Mein geliebter Held,

als ich noch klein war, da hast du immer gesagt:

"Wenn Oma mal tot ist und ich ganz alt bin, dann komme ich zu dir. Du kümmerst dich dann um mich."


Und ich sagte jedesmal: "Na klar. Aber jetzt bist du ja noch fit!"

Dann nicktest du und deine großen Pranken schlossen sich wieder sanft um mich.

Jetzt ist 30 Jahre später, Opa.

Du hast dein Versprechen gebrochen.
Du hast gesagt, du stirbst nicht, bevor ich nicht bereit dafür bin.
Und du bist als erstes gestorben.

Oma wohnt jetzt hier.

Als wir vor fünf Monaten die Entscheidung getroffen haben, sie zum Sterben zu uns zu holen, da war es auch der Tribut an dich, der mir diesen Weg so leicht machte.

Ich glaube nicht, dass du Oma allein lassen wolltest.
Aber du bist eben auch schon 8 Jahre tot.

Also beschloss ich, dass ich nun für sie da sein würde.

Sie lag in den letzten Zügen. Hat sich verabschiedet.
Und ja, ihre letzten Tage sollte sie nicht in diesem tristen Heimzimmer verbringen, in dem sie seit einigen Jahren lebte und seit Ende letzten Jahres nur noch vor sich hinvegetierte.
Eine Begleitung auf den letzten Metern. Absehbar.

Das ist nun vier Monate her und ich weiß inzwischen gar nicht so recht, wer hier mit uns lebt.

Es ist nicht die Oma, die ich von früher kenne.
Es ist auch nicht die Oma, mit der du verheiratet warst.
Der wir beide so viele Schandtaten beichten mussten, die meine Kindheit so bunt gemacht haben.

Ich unterhalte mich manchmal mit ihr über dich, aber es scheint, als hätten wir nicht denselben Menschen gekannt.
Als wäre nur ich da, die dich so abgöttisch geliebt hat.
Sie hat es nicht getan.
Wenn sie über dich spricht, zerreißt es mir mein Herz. Das bist nicht du.
Den Mann, der du für mich warst, den kennt sie nicht.

Es ist gerade schwer für mich.

Kati 15.07.2017, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Briefe

Zeugnistag

Letzter Schultag, Zeugnistag.

Die Zeugnisgeschenke sind verpackt und liegen hier.
Nicht für gute Noten, sondern für die täglich absolvierte Arbeit.

Für Pflichtbewusstsein und die Fähigkeit, auch mal an bescheuerten Tagen und ohne viel Lust den Schulalltag absolviert zu haben.

Kind6 mault ununterbrochen, dass es ja nun eigentlich schon ein Schulkind sei und mokiert, noch kein Zeugnis bekommen zu haben.
Dabei fällt mir ein, dass ich ihn mal dazu zwingen sollte, mit mir endlich mal Schulranzen begutachten zu fahren...

Das Zeugnis von Kind5 habe ich schon vor einigen Tagen gesehen, es ist und bleibt wie erwartet ein absoluter Überflieger.
Kann alles, weiß alles, ist beliebt, hat Freunde, hilft und lebt den jähzornigen Dickkopf anscheinend nur hier zuhause in schöner Regelmäßigkeit aus.
Genie und Wahnsinn und so.
Sie ist ein Kind, das sich gerade in Tiere so gut einfühlen kann, dass mir manchmal vor Ehrfurcht die Luft wegbleibt. Das bezieht sich zwar weniger auf den Chaosbruder, aber auf alle anderen Wesen. Sie kann mit bissigen Pferden so gut umgehen wie mit Hasen, Hunden, Katzen, sammelt grundsätzlich jedes noch so zerfledderte Tier ein und hat große Fortschritte darin gemacht, den Tod als Teil des Lebens zu akzeptieren.

Kind4 hat sein erstes Jahr auf der weiterführenden Schule gut überstanden und mein Sorgenbaby hat es geschafft, vom schulehassenden MotzKobold zu einem in sich ruhenden sensiblen Fast-Teenager zu reifen, der viele gute Freunde hat (die hier mitunter fast wohnen) und der auch in der Schule gut mitkommt. Mal gibt es eine Fünf, mal gibt es Einsen, im Normalfall pendelt er zwischen guter und befriedigender Leistung.
Er behauptet sich auf dem Schulhof auch gegen große Fieslinge und stellt sich aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit auch vor seine Freunde.
Er ist großartig. Hochsensibel und endlich in seiner Mitte.

Kind3 - Zusatzkind2 - wird auch hier wieder versuchen, nicht aus der Masse hevorzustechen.
Ich erwarte viele Dreien und Vieren und keine besonderen Bemerkungen.
Er ist einer von Vielen und möchte auch nichts Besonderes sein.
Darauf wurde er in seinem früheren Leben programmiert und daran arbeiten wir mit der Familientherapeutin.
An Interesse, Gefühl und dem Gespür für das eigene Ich. Der Weg ist noch lang.

Kind2 - meine strahlende Erstgeborene und Dramaqueen, Giftbeere und Kronprinzessin - ihr Zeugnis wird sie wiederspiegeln.
Einsen, wo ihr Interesse brennt, Dreien, wo sie keine Lust hat.
Und endlich eine Oberstufenschülerin.
Sie besucht eine Schule, deren Anspruch hoch ist und ich bin sehr zuversichtlich, dass sie die letzte Strecke zum Abitur mit Bravour absolviert.
Ihr Freundeskreis ist über die Jahre gewachsen und gefestigt, ich liebe und schätze alle ihre guten Freunde sehr.
Sie kann ihre Bedürfnisse kommunizieren, ist ein absoluter Kopfmensch mit viel Herz.
Sie treibt mich zur Verweiflung und in den Wahnsinn und ihr 10-Jahresplan mit Auszug nach dem Abitur und Studium und Wohnungseinrichtung und Nebenjobs erfüllt mich mit Stolz und Wehmut gleichermaßen. Sie ist doch noch so klein...

Kind1 - Zusatzkind1 - hat einen ähnlich schweren Rucksack zu tragen wie Zusatzkind2.
Sie wird ein absolutes Vorzeigezeugnis mit nach Hause bringen.
Nur Einsen und vielleicht in Sport eine Zwei oder Drei, für die sie sich innerlich zerfleischen wird.
Sie hat die Gabe, schreiben zu können, hoffentlich endlich für sich angenommen und kommt langsam aus sich heraus. Ihr Fokus liegt auf Träumereien und allen Dingen, die nicht Gefahr laufen, Realität werden zu können. Sie ist in der Lage, komplexe Zusammenhänge aus jedem Wissensgebiet schriftlich darzulegen, aber sobald man sie etwas fragt, das auch nur im Entferntesten die Gefühlsebene streifen könnte, verwandelt sie sich in ein kleines schwarzes Mäuschen, das man unter Androhung von Schlägen in einer Fremdsprache nach dem Weg gefragt hat.
Auch hier bin ich dankbar für die Frau, die uns inzwischen schon ein Jahr als Therapeutin begleitet.
Ihr Weg wird deutlich länger werden, auch darum bin ich glücklich über das zusätzliche Jahr, das ihr nächsten Sommer durch den Schulwechsel auf die höhere Schule zu Kind2 geschenkt werden wird.
Es wird sicher nicht immer einfach sein, eine Klasse unter der eigentlich jüngeren Stiefschwester zu sein, aber ich bin zuversichtlich, dass wir das gut begleiten können.

Ich bin heute sehr dankbar für diesen letzten Schultag.

Ich freue mich darauf, 6 Wochen lang NICHT jeden Tag morgens bis zu 11 Frühstücks- und Mittagsdosen herrichten zu müssen und auch einfach mal bis 7 Uhr morgens liegen bleiben zu können.

Ich war noch nie so urlaubsreif wie dieses Jahr.

Kati 14.07.2017, 12.00| (3/3) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag

Vom Schwindeln

Vor fünf Tagen wachte ich auf und meine Welt kippte.
Ich öffnete die Augen und hielt mich voller Panik am Bett fest.

Ich hatte das Gefühl, nach oben gezogen zu werden und nach unten zu fallen.
Nichts war mehr in Ordnung.
Einen halben Tag lang konnte ich mir einreden, dass es vielleicht neue Zyklussymtome seien.
Oder einfach nur ein Scheißsonntag.
Wer weiß das schon.

Am nächsten Morgen und mehrere Panik- und Heulanfälle später war ich bereit, zum Arzt zu gehen, wohin mich der Mann auch auf schwankendem Boden verfrachtete.
Ich saß in einem kippenden Wartezimmer und sah nur noch verschwommen und betete, dass es irgendwas Harmloses sei.
Nacken? Schulten? Rücken? Waren die ersten Fragen des Hausarztes und ich verneinte, weil alles nur normal weh tat.
Da hätte es vielleicht schon klingeln können.
Eine halbe Stunde später hatte ich eine Überweisung zum HNO-Arzt und immerhin Tabletten gegen Schwindel, die bewirkten, dass ich todmüde wurde und die Schränke nur noch von links nach rechts schwankten.

Nachmittags saßen wir dann beim HNO-Arzt in der Praxis und ich tastete mich an den Wänden entlang Richtung Behandlungszimmer.
Nach lustigen Spielchen mit einer Brille sagte der Computer, dass mit meinem Gleichgewichtssinn alles in Ordnung sei.
Der Arzt machte noch mehrere Tests und erzählte mir irgendetwas, das ich nicht verstand. Drückte mal hier, mal dort und erklärte mir, dass meine Augen zucken, wo sie nicht zucken sollten, wenn ich etwas fokussiere.
Stress, stellte er mehr fest als dass er fragte.
Ich nickte beklommen. Joah, schon.
Er nahm seinen Daumen und drückte mir zielstrebig in die Halsseiten.
Alle meine Nervenenden schrieen gepeinigt auf.
Ha!, machte er triumphierend und freute sich.
Ich mich nicht so.
Ich wurde in ein anderes Zimmer gebracht und auf einen Stuhl verfrachtet.
Spritzen. Betäubungsmittel für die Nervenstränge, die sich da in meiner total verhärteten Nackenmuskulatur eingeklemmt hatten und dafür sorgten, dass ich liegenblieb, weil meine Welt sonst schwankte.

Die Lektion kommt so lange wieder bis wir sie verstanden haben.


Bei der ersten Spritze dachte ich, ich muss ihm schreiend vom Stuhl springen und dann machte der Muskel plötzlich "ping" und meine Welt hörte auf, sich zu bewegen.
Die Entspannung war kaum zu ertragen.
Er kippte den Stuhl in Liegeposition und sagte: "Genießen Sie es!".

Was folgte, war ein Gespräch über meinen Stress. Nicht, dass ich dieses Gespräch nicht schon jedesmal mit jemandem geführt hätte, wenn mein Nacken oder meine Schultern oder mein Rücken mal wieder bis zur Besinnungslosigkeit wehgetan haben. Aber es war, als würde ich das erste Mal zuhören können.

Meine Welt kippt.

Und ich bin die Einzige, die etwas dagegen tun kann.

Ich kann die Umstände nicht ändern. Ich kann die Probleme nicht wegzaubern.
Aber ich kann entscheiden, mit beidem anders umzugehen als bisher.

Kati 13.07.2017, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Außer Betrieb

Ich wünschte, ich hätte die Worte für das, was in mir vorgeht.
Ich scheine auch sie verloren zu haben, wie so vieles im Laufe der letzten 12 Monate.
Ich wünschte, ich hätte die Worte, dem Mann zu sagen, wie tief meine Dankbarkeit für ihn geht.
Ich wünschte, ich hätte mich nicht selbst verloren auf dieser Reise, die nicht meine ist.
Ich bin in die falsche Richtung gegangen.
Ich bin an einem Punkt angelangt, an dem es kein weiter und kein vorwärts mehr gibt.
Mein Körper und mein Geist haben die Waffen gestreckt.

Kati 11.07.2017, 22.00| (2/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Enttäuschung

Mehr gehofft, zuviel erwartet und doch richtig geschätzt.
Nein, so eine Beziehung hätten wir nicht. Aber danke für alles.
Es piekt.

Kati 08.07.2017, 12.34| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Glaubensfrage

"Mamaaaa, wo wohnt Gott noch mal?"

Das kleinste Kind kräht mich noch halb verschlafen beim Frühstück an, weil es gerade über Weltall und Himmel und Wolken und Luft und Sonne und überhaupt sinniert hat.
Dabei kam ihm irgendwie in den Sinn, dass es den Platz für Gott wohl vergessen haben muss.

Bevor ich noch irgendetwas sagen kann, keift ihn das Zusatzkind mal wieder reflexhaft an und belehrt ihn überheblich: "Es gibt keinen Gott!"

Ich seufze müde. Was hat man diesen Kindern nur angetan, dass sie anderen nicht ihre eigene Sicht der Dinge lassen können?

Das kleinste Kind zieht unbeeindruckt eine Augenbraue hoch.
Überartikuliert wendet es sich an die große Stiefschwester:
"Darum habe ich auch nicht dich gefragt,", erklärt es langsam, als würde es es mit einer äußerst ärgerlichen Form von Begriffstutzigkeit zu tun haben, "sondern Mama."

Ich entscheide mich, ihr abfälliges Seufzen und Augenrollen so früh am Morgen zu ignorieren.

"Gott ist überall, Butzemann. In mir, in dir, in allen Menschen, in jeder Blume, in jedem Tier, an jedem Ort. Im Weltall genauso wie hier auf der Erde."


"Das ist so schön, Mami!", freut sich der kleine Sohn und springt auf.

Ja. Das ist es.

Kati 06.07.2017, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag

Vom nach dem Sterben

Der weltbeste Notar und Anwalt öffnet uns die Tür und ich bin wie jedesmal
ein bisschen verliebt.
In das alte Haus, in die Stuckdecken, in seine weißhaarige alte Agentenfilm-Sekretärin und in ihn.
Seine Stimme, seinen Geist und sein enormes Fachwissen, das es nicht geschafft hat,
die Menschlichkeit aus seinem Herzen zu verdrängen.

Die letzten Jahre hat dieser Mann uns bei so vielen Dingen begleitet.
Beim Hausverkauf, beim Hauskauf, in den Auseinandersetzungen mit Exmann und Exfrau um Kindesunterhalt.
Beim Sorgerechtsprozess um die Zusatzkinder, kurz: in allen rechtlichen Belangen.

Und natürlich hat auch er unser Testament verfasst.

Hier leben sechs Kinder, zwei erwachsene Menschen und eine pflegebedürftige Person.
Wir haben drei Kinder. Der Mann hat fünf Kinder. Ich habe vier Kinder.
Zwei der Kinder sind Halbwaisen.
Ein sorgeberechtigter Elternteil lebt nicht in diesem Haushalt.

Es geht um Immobilienbesitz, Erbanteile, Pflichtteilsansprüche, Vorsorgevollmachten und Vormundschaften.

Er hat es geschafft, all unsere Wünsche auf vier Seiten Testament unterzubringen.

Die Unterschrift kommt mir fast bedeutender vor als damals bei der Eheschließung.
Dies hier fühlt sich schwerer an.
Erwachsener.
Der Mann setzt seine Unterschrift unter meine.
Der Notar seine darunter.

Er lächelt uns an:
"Auf dass diese Papiere möglichst lange in der Schublade bleiben!"

So möge es sein.

Kati 05.07.2017, 12.00| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag

Muße

Ich brauche Zeit.
Nicht einfach nur mehr Zeit.
Ich brauche Zeit ihrer Selbst wegen.
Ruhe, Muße.
Nicht die zehn Minuten zwischendurch, die ich zwischen Toilettenstuhl, Einkauf, Putzen und Kochen hektisch am PC durch das Weltgeschehen surfen kann um nicht völlig durchzudrehen.
Nicht die fünf Minuten, die mir bleiben, bevor ich eines oder zwei oder drei von sechs Kindern von A nach B oder C bringen muss.
Nicht die halbe Stunde am Abend, wenn endlich alle Kinder im Bett sind und die Küche gemacht ist, bevor ich wieder hoch muss, weil ich eine hilflose bettlägrige Person für die Nacht vorbereiten muss.
Sondern Zeit.
Zeit, die keine Begrenzung kennt, keine Minuten zählt oder auf Stunden hofft.
Zeit, die mir zur Verfügug steht und die ich nutzen kann oder auch nicht.
Die mir nicht zwanghaft mit jedem TickTack in Erinnerung bringt, dass ich jetzt nur noch 20, 15, 10, 5... Minuten zur Entspannung habe bevor dann wieder das Chaos ausbricht.
Ich mag mein Hamsterrad gerade gar nicht.
Wir haben diesen Zustand selbst gewählt und selbst herbeigeführt.
Und wir haben eine Menge Fehleinschätzungen zu verbuchen, die letztendlich dazu geführt haben, dass wir die falsche Entscheidung getroffen haben.
Aus Fehlern lernt man, heißt es.
Ich kann darüber nur noch müde lächeln.
Wir versuchen, an unseren Fehlern nicht seelisch zugrunde zu gehen.

Kati 04.07.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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