Fassungslos

Ich sehe immer noch jeden Tag auf deine Seiten.
Immer und immer wieder.
Es ist 7 Jahre her, dass wir uns voneinander gelöst haben.
Es war unschön. Sehr. Es ist viel passiert.
Das Jahr, das ich mit dir verbracht habe, war eines der intensivsten meines Lebens.
Ich habe dich so sehr geliebt. Vergöttert.
Unendlich begeistert, dass ich tatsächlich einen Gleichen gefunden hatte.
Niemals hätte ich das für möglich gehalten.

Wir haben uns gestützt. Hochgeholfen.
Und wehgetan. So furchtbar weh.
Meine Computerdateien zeugen von diesem Jahr.
Da sind nämlich keine.
Kaum Fotos, keine Blogeinträge, nur der Austausch mit dir. Das war alles, was zählte. Ich habe dir so viel zu verdanken. So.verdammt.viel.
Du warst ein Ausnahmemensch, nicht nur für mich.
Und du hast schwer an deiner Last getragen.

"Ich weiß, dass ich früh sterben werde."

Das ist ein Satz, der mich nie mehr losgelassen hat.
Ich habe ihn abgetan, ich konnte das nicht gut annehmen.
Und du hast ihn wiederholt. Eindringlicher.
 "Ich weiß, dass ich früh sterben werde."
Es war dir bitterernst.
Du hast mir von deinem Mann erzählt, der schon einmal seine Frau gehen lassen musste. Und dass du alles nur Menschenmögliche tun würdest, damit diese Geschichte sich nicht wiederholen würde.

Es ist dir nicht gelungen.

Und es lässt mich fassungslos zurück, wie das Leben so ungerecht sein kann.
Immer wieder.

Die vielleicht bitterste Erkenntnis des Lebens ist, dass nicht alle Geschichten gut enden.
Egal, woran wir glauben.
Egal, wie hart wir kämpfen.

Ich vermisse dich.
Seit 7 Jahren.
Seit fast zwei Monaten.
Schon immer.
Für immer

 Niemand nach dir, habe ich dir damals versprochen und das fällt mir leicht.
Du bist und warst einzigartig.

Kati 31.10.2017, 15.34| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Vom Lieben

Es ist nicht meine Gefühlswelt, die diese Gedanken hervorbringt und doch betrifft sie mein innerstes Empfinden und Erleben.
Wenn ein Kind zum ersten Mal in die aufregende und unschuldige Achterbahnfahrt der Gefühle einsteigt, dann betrifft das nicht nur dieses Kind, sondern die ganze Familie.

Wir müssen uns als Eltern erst einmal damit auseinandersetzen, was das für uns heißt.
Wie das unser Bild verändert, wenn das gerade erst geborene Kind plötzlich auf Wolke 7 an kleinen Geschwistern vorbeischwebt und nichts im Leben mehr Relevanz besitzt außer der nächsten Nachricht, dem nächsten Treffen, dem nächsten Körperkontakt.

Und das ist zumindest für mich sehr schwer.

Ich möchte ihr all diese Glücksgefühle lassen und gleichzeitig mit dem Schwert hinter ihr stehen, sollte er auch nur eine falsche Bemerkung machen, eine falsche Bewegung, einen falschen Zug tun.
Und ich will nicht, dass sie fällt.
Hier weniger als jemals zuvor in ihrem Leben.

Nun weiß ich aber auch, dass gerade der Fall elementarer Bestandteil ihres inneren Wachstums sein wird. Und dass Schmerz dazugehört.

Noch können wir sie trösten, noch können der Mann und ich heimlich die Augen verdrehen, wenn sie völlig überdreht nach Hause kommt und jeder Satz mit seinem Namen anfängt.
Noch ist sie hier und noch dürfen wir direkt Anteil nehmen.

Es ist ein Geschenk, das wehmütig macht.

Ich bin noch nicht bereit für diesen Schritt.
Aber sie ist es.
Also gehen wir ihn.

Kati 28.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: ziehen - beziehen - erziehen

Mutlos

Keine Ahnung, ob es daran lag, dass ich vor zwei Tagen begonnen habe, die Morphium-Sachen alle wegzulassen, weil es mir so viel besser ging (haha) oder ob ich mich die letzten Tage im Haushalt überlastet habe (vermutlich dabei, federleichte Sachen in Zeitlupe von A nach B zu transportieren) oder ob sich die Bandscheibe irgendwie verlagert hat, auf jeden Fall habe ich die letzten beiden Tage immer stärker werdende Taubheit in den oberen Extremitäten gespürt. Kribbeln, Stromstöße, Taubheit, permanenter Schmerz, der sich immer weiter steigerte.
Gestern Abend bin ich wieder zu den Tabletten zurückgekehrt und nach einer schrecklichen Nacht geht es heute Morgen wieder einigermaßen.
Ich habe zwar Kopfschmerzen aus der Hölle, aber zumindest nicht mehr das Gefühl, ich muss gleich von einer Brücke springen, weil ich es ansonsten nicht mehr aushalte. Es ist dunkel dieser Tage.
Ich bin erschöpft, ich bin mutlos und Kraft ist auch nicht mehr viel über. Ich habe Angst, dass ich doch noch ins Krankenhaus muss und mir einen Teil der Wirbelsäule versteifen lassen muss, den ich noch sehr beweglich brauche. Ich fühle mich hilflos und überflüssig. Ich kann nichts tun, was für mich von Wert oder Bedeutung wäre. Ich fühle mich isoliert und vom Leben ausgeschlossen. Gleichzeitig schreit alles in mir, dass es viele Menschen viel schlimmer haben und ich mich nicht so anstellen soll.

Kati 25.10.2017, 12.00| (2/2) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Wenn es knallt, dann richtig...

Der Morgen war nach einer Tagesdosis Schmerzmittel und meinem Gang zum Physiotherapeuten eigentlich nicht mehr so schlecht.
Die Physiotherapeutin war angetan vom Zustand meiner Muskeln und gab mir ein enthusiastisches GO! für mein weiteres Training und stellte mir in einigen Wochen Beschwerdefreiheit in Aussicht, wenn ich so weitermache.
Massage tat heute kaum weh, obwohl diese zwar kleine aber sehr kräftige Person mit ganzem Gewicht in meinen Schultermuskeln hing.
Gutes Zeichen.
Fortschritt, wo ich in meiner tagtäglich gefühlten Isolation zuhause nur Stillstand wahrnehmen konnte.
Es geht weiter. Langsam. Aber weiter.

Zuhause öffnete ich freudestrahlend die Tür, weil ich das erste Mal den Berg zu unserem Haus im Eilschritt hochmarschieren konnte, ohne zu schnaufen oder von Rentnern mit Krückstock überholt zu werden und sah in vier weinende Kindergesichter.
Scheiße.

Zuhause hatte es in meiner Abwesenheit ordentlich geknallt und pubertäres Kompetenzgerangel ist nun mal eine hochexplosive Angelegenheit.
Die beiden Kleinen haben zuerst gepiesackt, als die Großen aneinandergerasselt sind und haben dann später aus Solidarität einfach mitgeweint, weil ihnen die Situation zuviel war.

Meine Enttäuschung war mir wahrscheinlich deutlich anzusehen und als ich alle leise bat, in ihre Zimmer zu gehen, damit ich mich abregen kann, funktionierte das ohne Murren.

Meine Schultern verkrampften schon wieder und ich entschied, trotz des schweißtreibenden Spaziermarschs noch ein paar Übungseinheiten für den Rücken und die Schultern zu absolvieren.
Als ich nach meinem Training nach oben an den Computer ging, lagen dort bereits erste Entschuldigungsbriefe.

Vielleicht ist es ja doch noch möglich, dass wir gleich alle zusammen meinen Geburtstagskuchen vorbereiten, ohne uns gegenseitig umzubringen.

Kati 24.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Alltag

Von Traumfrauen

Es ist inzwischen über 20 Jahre her, dass ich in die gymnasiale Oberstufe kam.

Von einem Tag auf den anderen hatten wir keinen kuscheligen Klassenverbund mehr, sondern nur noch Kurse.
Ich fand das nicht gut. Ich mochte neue Gesichter noch nie.

Bis ich Ihres sah.

Meine erste Stunde Biologie-Leistungskurs fand im Labor statt und mein bester Freund saß schon neben seiner Freundin.
Ich suchte einen freien Tisch - es gab keinen mehr, ich war wie immer zu spät.

Aber es war noch ein Platz frei.
Neben ihr.

Ich stand in der Tür und starrte sie einfach nur an.
Sie war deutlich kleiner als ich.
Ein Gesicht wie eine Puppe.
Zarter, weißer Teint.
Ebenmäßige Haut.
Keine Schminke.
Ein kleines Stupsnäschen, große hellblaue Augen und ein tiefroter Schmollmund.
Ihre Figur so rund, dass ich das Gefühl hatte, eine alte Fruchtbarkeitsgöttin zu betrachten.
Wohlgerundete Hüften, weicher straffer Bauch, große Brüste. Die pechschwarzen glatten Haare glänzten und fielen ihr wie ein Wasserfall bis auf den Po.

Mein Biologielehrer fragte, ob ich vielleicht die Güte hätte, mich ebenfalls zu setzen und ich ging langsam auf sie zu.
Sie lächelte nicht. Wortlos nickte sie zu dem Platz neben sich.

Sie lächelte auch die nächsten 3 Jahren bis zum Abitur nur sehr selten.
Sie war eine ernste Seele, die sich völlig dem Lernen verschrieben hatte.
Astrophysik würde sie studieren (und ich weiß heute, sie hat auch) und dann die letzten wissenschaftlichen Rätsel der Menschheit lösen.

Es dauerte einige Monate, bis sie auftaute. Sie traute den Menschen nicht.
Das machte sie nur umso bezaubernder.
Wir wurden Freunde.
Richtige Freunde.
Stundenlang konnten wir nebeneinander sitzen und über unsere Zukunft sprechen, spinnen oder einfach nur beieinander sein.
Ich liebte ihren Geruch, ihre Weichheit, aber auch ihre Härte, die sie stets den anderen zeigte.

Sie liebte unglücklich meinen besten Freund.

Und ich liebte sie.

Drei Jahre später - kurz vor dem Abitur - zog ich in den Nächten vor den Prüfungen mit meinen Freunden durch die Clubs und feierte das Leben.
Sie saß zuhause und lernte.
Ich hatte Flirts und kostete meine Wirkung auf Männer in vollen Zügen aus.
Es lenkte mich ab.

Am Tag bevor ich meine Abiturarbeit in meinem Paradefach Deutsch und kurz bevor sie ihre in ihrem Lieblingsfach Mathe schrieb, fasste ich mir endlich ein Herz.

Ich gestand ihr vorsichtig meine Liebe.

Konnte nur noch daran denken, nur ein Mal diese wunderbaren Lippen küssen zu dürfen, von denen ich seit Jahren träumte.
In all den Jahren vorher hatte ich dieses Szenario unzählige Male durchgespielt.
Immer endete es mit einem Kuss.

Sie sah mich verständnislos an.

"Wie meinst du das?"

Ich hatte zuviel riskiert, um jetzt einen Rückzieher zu machen und hoffte so sehr, dass unsere Freunschaft das aushalten würde.

Ihr Gesichtsausdruck wandelte sich von Verständnislosigkeit zu Ekel.

Die Worte, die sie daraufhin aussprach, zerrissen mein Herz.

Es war unerträglich.

Meine Deutsch-Abitur-Arbeit vom Tag darauf ist mit 03 Punkten benotet worden.
Mein Abitur schaffte ich nur, weil ich in den mündlichen Prüfungen alles wieder ausgleichen konnte.

Sie hat seit diesem Tag nie wieder ein Wort mit mir gewechselt und schnitt als Jahrgangsbeste ab.

Kati 21.10.2017, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Brandschutzerziehung

Heute ist das große Finale der Brandschutzwoche in der Grundschule.

Seit vier Tagen wird gezündelt, geprobt, werden Fluchtwege abgegangen, wird auf dem Boden gerobbt, die Feuerwehr mit verschiedenen Telefonen (Taste, Wählscheibe, Spracheingabe) angerufen und Brandmeldungen abgesetzt.
Jedes.einzelne.Kind.

Was im Kindergarten schon sehr gut angefangen hat mit halbjährlichen Besuchen bei der Feuerwehr mit in-Brand-setzen und Löschen von verschiedenen Dingen, Fahren mit Feuerwehrautos und Rettungen von Dächern in 8 Meter Höhe und Fahren mit ausziehbaren Leitern und Ähnlichem, wird hier in aller Konsequenz fortgesetzt.

Seit vier Tagen sind es nicht die Lehrer und Lehrerinnen, die die Hauptrolle spielen, sondern Feuerwehrleute.
Alles dreht sich rund um einen Ernstfall, der auch als genau das dargestellt wird, was er ist, allerdings nicht in grauer Theorie.
Es geht um Erfahrung, ums Begreifen, ums Anfassen, um Erleben, um alles, was man Kindern nicht an einer Tafel mitteilen kann.

Und so wurde ich heute Morgen Zeuge eines spektakulären Schauspiels, auf das alle Grundschüler seit Montag hinfiebern.

Es ist 7:50 Uhr - alle Kinder spielen bereits auf dem Schulhof und warten auf das erste Klingeln - da wird der ganze Schulhof plötzlich in grell blinkendes Blaulicht gehüllt.

150 Kinder kreischen unisono auf und fangen an, Richtung Auffahrt zu rennen.

Es ist kein Chaos, aber die Luft vibriert förmlich vor Aufregung.

Ich sehe den ersten von drei Feuerwehrwagen.
Der Fahrer winkt aus dem geöffneten Fenster und mehrere Feuerwehrmänner hängen wie Popstars aus den hinteren Türen.

Die nächsten beiden Wagen kommen um die Ecke und rollen langsam auf den Schulhof.
Einige Kinder werden auf die Wagen gehoben und dürfen mitfahren.
Die Auserwählten kreischen begeistert.

Man sieht ganz gut, welche Kinder das Spektakel schon kennen - die Viertklässler ganz vorne, die Erstklässler stehen mit offenem Mund weiter hinten und können gar nicht so recht fassen, was dort geschieht.

Die drei Feuerwehrwagen sind inzwischen auf dem Schulhof aufgestellt und voll uniformierte Feuerwehrmänner heben die Kinder wieder aus den Wagen und andere hinein.
Sie baden förmlich in der Menge und man sieht, dass sie Spaß haben.

Die Kinder kennen die Männer schon aus der vergangenen Brandschutzwoche und haben keine Berührungsängste.

Ich sehe den närrischen kleinen Tuk, der mit riesengroßen Augen zwei Feuerwehrleute anhimmelt und lächle leise, als ich mich auf den Weg nach Hause mache.

Ja, so ist das gut und so sollte es sein.

Kati 20.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: ziehen - beziehen - erziehen

Tag 9

Heute ist nicht so mein Tag.

Es ist neblig und das ist weniger mein Wetter als alles andere.
Es ist kalt, es ist nass in der Luft und mir läuft nach dem Laufen kalter Schweiß den Rücken runter, mir ist heiß und ich friere gleichzeitig.
Das fühlt sich nicht gut an.

Ich konnte heute nur ein Drittel meiner Strecke machen, weil Kind5 krank ist und hier zuhause auf mich wartete.
Kind6 fehlte die gewohnte Begleitung zur Schule, also bin ich nicht nur bis zur Brücke sondern ganz mit zur Schule gelaufen und dann mit einem kleinen Schlenker wieder nach Hause zu Kind5, das mit hoch Fieber und dem kleinen Braunbären, der inzwischen genausoviel wiegt wie das Kind selber, auf dem Bauch auf dem Sofa lag und schlief.

Meine Kinder werden eigentlich nicht krank.
In 15 Jahren Mutterschaft bei vier Kindern haben wir 3 oder 4 komplette Magen-Darm-Episoden gehabt, jedes Kind hatte weniger Erkältungskrankheiten (Fieber, Schnupfen, Husten, Ohrenschmerzen) als dies.
Sie haben alle ein freies und untrügliches Körpergefühl und Krankheiten bringen sie - weil sie sie kaum kennen - ein wenig aus dem Konzept.

Aber nichts, was ein Sofa, ein Film und ein kuschelnder Riesenhund nicht richten könnten.

Kati 18.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: out of order

Tag 8

Physiotherapie war heute endlich mal wieder weniger schmerzhaft, dafür produktiv entspannend.
Ich habe 2 neue Übungen für zuhause und das Gefühl, aktiv etwas tun zu können, hebt meine Stimmung.
Die Hiobsbotschaft kam eine halbe Stunde später beim Arzt.
Wir haben eine neue Baustelle.
Ich nehme zu schnell ab.
Was für die Bandscheibe grandios ist, ist für meine Harnsäurewerte augenscheinlich eine Katastrophe.
Die beiden Gichtgelenke fühlen sich grauenhaft an und ich habe das Gefühl, ich stehe kurz vor dem zweiten Gichanfall meines Lebens.
Dabei hatte ich mir vor drei Jahren versprochen, der Erste würde auch der Letzte bleiben.
Und zwar ohne Langzeitmedikation bis an mein Lebensende.
Der Arzt spritzt eine Unmenge Lidocain in meine Nackenmuskulatur, tätschelt mir aufmunternd die Schulter und schiebt mich zum Blutabnehmen.
Ergebnisse dann am Freitag.
Gott, finde ich das alles gerade doof.

Kati 17.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: out of order

Tag 7 - Hoffnung

Der Tag begann damit, dass ich nach dem Duschen mit hämmerndem Herzen in meiner Brust auf dem Bett saß und mein Kopf laute Parolen schrie.

Du musst noch dein viertel Kilo Quark essen, bevor du losgehst!
Du musst noch einen halben Liter Wasser trinken!
Du musst noch unter die Wärmedecke, damit du den Weg schaffst!
Du musst noch die Kinder begleiten!
Du MUSST noch deine Nackenübungen machen!
Sieben Übungen, jeweils 4 - 6 Wiederholungen pro Übung, Entspannung zwischendurch! Beeil dich!
DU MUSST GLEICH LOS!!
DU MUSST DICH ENTSPANNEN!

Ich saß auf der Kante meines Bettes und mein Herz dröhnte in meiner Brust und mein Kopf schob Gedanken in Orkanstärke von links nach rechts.

Und dann merkte ich, was ich da tue.

Es geht mir besser.
Und immer, wenn es mir langsam besser geht, gehen Geist und Körper wieder in meinen Effizienzmodus über, der dazu geführt hat, dass es mir so schlecht geht, weil er alle meine Grundbedürfnisse einfach ausschaltet.

Ich ließ die Schultern sinken.

Der Stress ging dadurch nicht weg. Aber ich entschied, ihn zu ignorieren.

Der Weg zum Arzt hat mich heute nur eine halbe Stunde gekostet.

Ich schüttete meinem Lieblingsarzt meine Sorgen und Gedanken der letzten Tage, die Besserung meines Zustandes könnte nur von den vielen Medikamenten herrühren, einfach vor die Füße und er lächelte.

"Diese Art von Nervenzucken und Ausfallerscheinungen würden wir auch mit der doppelten Menge Morphium nicht ausschalten können."

Langsam sickert die Erkenntnis in mein Hirn.
Traue mich fast nicht, daran zu glauben, aber die Hoffnung glimmt unbeirrbar.

Die Gallertmasse der Bandscheibe drückt den Nervenstrang nach links nicht mehr vollständig ab.
Ich weiß nicht, wie es beim Rückgrat aussieht, ich weiß nicht, wieviel sich wohin zurückgebildet hat, aber für den Moment ist mir das egal.

Es bessert sich.

Kati 16.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: out of order

Tag 4 - Zwischenzeit

Ich bin müde.

Meine Woche fing am Montagmorgen mit einem grauenhaften MRT an und steigerte sich bis zu diesem Freitag in Richtung völlige Erschöpfung.

Mein Körper reagiert. Auf alles.
Heute sind es 10 kg Gewichtsverlust, geringfügige Besserung der Nervenschmerzen, dafür Muskelverspannungen im gesamten Rücken.
Müdigkeit.
Erschöpfung.

Jeden Tag weit über 2 Stunden gelaufen, jeden Tag Haushalt, kochen, aufräumen in Zeitlupe mit 6 Kindern und Tieren, jeden Tag nicht aufgegeben.

Heute fällt alles schwer.

Das Frühstück bekomme ich kaum runter, die letzten Schlucke zum ersten Liter Wasser an diesem Tag lassen mich fast brechen, ich mag nicht mehr.

Selbst die Burg, die mir ansonsten jeden Tag das Gefühl von Ehrfurcht vor der Zeit abverlangt, sieht heute Morgen einfach nur hübsch aus, als die Sonne aufgeht.
Das epische Gefühl bleibt aus.
Ich begreife mich zurzeit nicht als Teil eines großen Gesamtgefüges, meine Zeit ist irgendwie stehengeblieben.
Ich fühle mich abgeschnitten, verlangsamt, isoliert, allein.

Als ob alle Menschen ihr normales Leben weiterleben könnten, nur ich nicht.

[Egozentrik konnte ich immer schon gut. Aber die Erkenntnis hilft jetzt auch nicht.]

Kati 13.10.2017, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Tag 3 - immer am Fluss entlang

Meine Nacht war besser als die letzte.
Das ist bei dem ganzen Schmerzmittel, das ich intus habe und dem Betäubungsmittel an meinen Rückennerven aber vielleicht auch kein großes Wunder.
Trotzdem sagt der Arzt heute Morgen: "Das hört sich doch gut an."

Ich klammere mich an diesen Strohhalm.

Ich bringe die Schulkinder bis zur Brücke und mache mich dann auf meinen Weg.
Immer am Fluss entlang, in die eine Richtung.

Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film irgendwo zwischen Oh wie schön ist Panama und Als der kleine Tiger einmal krank war.
Erst zur Physiotherapie, wo ich eine Stunde lang mit Rotlicht bestrahlt, massiert und besportelt werde.

Wieder raus, wieder am Fluss entlang. Inzwischen ist es Tag und es liegt nicht mehr alles im Zwielicht. Ich bin erschöpft, ein alter Mann mit Hund und Krückstock überholt mich und es ist mir egal.

Der Fluss plätschert neben mir, ich kann das Wasser riechen und setze einen Schritt vor den anderen. Immer weiter.

Beim Arzt werde ich unkompliziert ins Spritzenzimmer gesetzt, bekomme meine Spritze und ein aufbauendes Gespräch und werde mit einem Bis morgen! verabschiedet.

Es liegen drei Kilometer Fußmarsch bis nach Hause vor mir.
Der Fluss ist meine Rettung.
Ich gehe mit den Wellen und dem Rauschen und den Enten einfach immer nur geradeaus, bis ich den Berg sehe, auf dem unser Haus steht.

Ich brauche dafür fast eine Stunde und falle zuhause einfach nur ins Bett.

Kati 12.10.2017, 15.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: out of order

Tag 2

Ich kann noch laufen.
Also laufe ich.

Ich bringe morgens die Kinder auf den Schulweg - nur bis zur Brücke, denn der kleine Tuk ist ja schon groß.
Aber winken, wenn sie in 500m Luftlinie gegenüber der Brücke in den Waldweg einbiegen, das muss ich dann doch noch.

Danach noch drei weitere Kilometer bis in die Innenstadt - zum Arzt.
Jeden Tag ab jetzt.

Der weltbeste Hausarzt und wir haben einen Schlachtplan ausgearbeitet, bevor nichts mehr geht und ich mich doch ins Krankenhaus begeben muss.

Warten. Klingt profan, kann aber helfen. Damit Warten nicht ganz so schmerzhaft ist wie aktuell, gibt es reichlich Morphium und anderes.
Darum darf ich auch kein Auto mehr fahren. [Durch die Stadt torkeln schlendern ist aber erlaubt.]

Spritzen. Betäubungsmittel, Entzündungshemmer, weiß der Kuckuck was - es tut einfach nur höllisch weh, wenn es da so in den Nacken gespritzt wird, hilft aber.

Ernährung. Kein Zucker, keine Kohlenhydrate. Eiweiß. Aber kein Fleisch.

Bewegung. [Ich laufe ja eh...]

Sport. Physiotherapie zur Stärkung der Rückenmuskulatur.

Wärme. Schön, dass es eh Herbst ist.

Ruhe. Ein mittelgroßes Problem bei dem Pensum, das hier jeden Tag zu leisten ist. Ich bemühe mich.

Und ich habe Angst.

Kati 11.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: out of order

Tag 1 nach der Diagnose

Gestern war scheiße.

Diagnose: ausgedehnter Bandscheibenvorfall zwischen Halswirbel 6 und 7.
Druck nach hinten aufs Rückenmark.
Starker Druck zur linken Seite und völlige Quetschung des linken Nervenstrangs.

Heute war auch scheiße.

Aber immerhin haben wir inzwischen einen Plan.

Morgen geht es weiter.

Kati 10.10.2017, 22.00| (2/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: out of order

Aus der Art geschlagen

In einigen Tagen wird der närrische kleine Tuk sechs Jahre alt.
Unser Nesthäkchen, unser letztes Kind, unser Sonnenschein.
Und unser besonderes Kind mit all seinen speziellen Bedürfnissen, mit dem wir so viel durch haben.
Einschließlich Ärzte-Odyssee und Operationen.

Er ist wunschlos glücklich.
Er will nichts, er will keine Party, kein Fest, keine Gäste, keine Geschenke.

"Einen Schokokuchen, Mami. Aber bitte ohne Sahne."

Alle Kinder hier wissen, dass ich an ihren Geburtstagen die Welt für sie anhalte.
Weil mir das wichtig ist.
Das gesamte Haus mutiert auf über 200 Quadratmetern zu Spinnenhöhlen, Vampirgruften, zu Unterwasserwelten oder wird mit 5000 Luftballons gefüllt.
1000 Quadratmeter Garten verwandeln sich in die Welt von Minecraft, ich hebe Gräben aus und baue Weltraumkioske, hole Pferde, baue gigantische Drachen oder wir kämpfen als Pflanzen gegen Zombies.
Nichts ist unmöglich.
Wir verköstigen auf Geburtstagen ganze Heerscharen von Kindern, zu unseren eigenen sechs Kindern kommen normalerweise noch 2-4 Freunde von Geschwisterkindern (oft als Helfer in besonderen Rollen) und geladene Partygäste, von mindestens 6 bis hoch zu 16 weiteren Leuten.
Die Kinder haben schließlich alle unterschiedlich große Freundeskreise.

Und das kleinste Familienmitglied will ... nichts von alledem.

Das ließ mich erst einmal ratlos zurück.
Er liebt Partys und den Trubel darum, er hat Freunde und im Vergleich zu seinen Geschwistern nur wenig Spielzeug für sein Alter.

Bei genauerem Nachdenken hätte ich drauf kommen können.
Er ist hier als Kleinster mit seinen Besonderheiten so eingebettet in unsere Familie wie sonst kein Kind vor ihm.
Alle Geschwister lesen ihm jeden Wunsch von den Augen ab, er ist durch seine jahrelange Taubheit immer im Fokus gewesen.

Immer der Mittelpunkt, immer waren alle bemüht, ihn und seine Anliegen zu verstehen.

Er war der einzige, mit dem in Zeichensprache kommuniziert werden musste, alle großen Geschwister haben sich bei Problemen immer wie Löwenmütter vor ihn gestellt.

Egal, ob er auf dem Spielplatz von anderen Müttern oder Kindern doof angesprochen wurde oder ob die blöde Bäckereiverkäuferin meinte, bemerken zu müssen, dass er so komisch lallen würde.
Er bewohnte jahrelang nicht sein eigenes Zimmer, weil er nachts bei uns schlief und tagsüber immer in den Zimmern seiner Geschwister willkommen war.
Er braucht selber kaum Spielzeug, weil er Zugriff auf 3 weitere Kinderzimmer samt Spielzeug hat.

Er ist das Kind, das hier am meisten in sich ruht.
Das, das inzwischen auch einfach mal für Stunden im eigenen Zimmer verschwindet und die Ruhe genießt.
Das, das immer gut gelaunt ist, immer in seiner Mitte schwebt, großzügig und empathisch ist und so unglaublich viel Charisma besitzt.

Mein Baby.

Und wenn genau das sein Wunsch ist, dann werde ich den schönsten Schokokuchen ohne Sahne für ihn machen, den er sich nur vorstellen kann.

Und den Rest einfach loslassen.

Kati 05.10.2017, 15.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: ziehen - beziehen - erziehen

Zwei Monate

Es ist zwei Monate her, dass wir den letzten Atemzug von Uroma begleitet haben.

Vieles ist leichter geworden seitdem.

Mein Alltag, vor allem. Ich kann wieder atmen, ich habe wieder Luft.

Vermisse ich dich, Oma? Ich weiß es nicht.

Ich hätte mir nie vorstellen können, was Pflege am Rand der Erschöpfung mit Beziehungen machen kann.

Das arbeitet noch in mir.

Kati 04.10.2017, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

woanders:







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