Heute ist
Was
macht
du
eigentlich
den
ganzen
Tag bei
Frau Brüllen und da der Tag schon früh morgens das Potential hat, so richtig bescheuert zu werden, mache ich mal mit.
Mein Tag beginnt um 01:22 Uhr - da bekomme ich nämlich eine Nachricht einer befreundeten Mutter, die sich bedanken möchte, dass ich ihren Sohn mit zum Treffpunkt der Klassenfahrt genommen habe. Mein Handy liegt um diese Uhrzeit normalerweise eine Etage tiefer und ist leise - heute allerdings liegt es neben meinem Bett auf Kopfhöhe und ist maximal laut, weil der Sohn zu diesem Zeitpunkt auf der Fähre nach England ist und ich auf Nachricht warte, dass sie drüben angekommen sind.
Ich bin wach, also kann ich ihr auch kurz antworten, leider findet das helle Display ein riesiger Nachtfalter ziemlich geil und fliegt mir mitten ins Gesicht.
Ich kann gerade noch an mich halten, nicht laut loszuschreien (weil - der Mund muss zubleiben!) und versuche, das Ding mit meinem Handy zu erschlagen.
Gelingt auch und ich schnippse es zur Seite, das kann die Schlafzimmerkatze fressen.
Durch die Bewegung und das Adrenalin ist meine Kiefernaht wieder aufgebrochen und blutet mir lustig den Mund voll. Die Schmerzen sagen - hinlegen geht jetzt erst mal nicht mehr. Ich gehe also auf Toilette, werfe meine verschriebenen Schmerzmittel ein und kehre zurück ins Bett, wo ich mich halbsitzend hindrappiere. Der Mann hat von alledem anscheinend nichts mitbekommen.
Um kurz nach 6 Uhr verlässt der Mann das Haus und zieht die Mülltonnen auf die Straße. Das ist laut. wie jeden Freitag.
Über mir ist die Kriegerprinzessin wach und macht anscheinend Kampfyoga mit Gewichten oder übt vielleicht auch einfach martialische Tänze. Wir haben Holzdecken.
Ich schlummere wieder weg und werde 10 Minuten später von der wild fauchenden Schlafzimmerkatze geweckt. Ich reiße die Augen auf und sehe direkt auf eine dicke schwarze Eisbärschnauze. Der kleine Eisbär, der mal ein Hund werden möchte, ist unerlaubt in die Mitteletage geklettert und macht nun Katzenjagd. Ich schimpfe ein bisschen, stehe auf (ohne den Wecker exakt 4 Mal auf Schlummern stellen zu können - der Tag wird also Scheiße) und trage ihn ins Erdgeschoss. Dort pinkelt er mir erst mal auf die Füße.
Mein Kiefer pocht, ich habe Kopfschmerzen, der närrische kleine Tuk springt fröhlich trampelnd die Treppe runter (wir haben Holztreppen...) und erzählt mir erst einmal, dass der kleine Eisbär auch schon im Obergeschoss war.
Ich wische die Pfütze weg und schicke die Hunde in den Garten.
Im Medikamentenschrank wühlend überfällt mich das kleine Kind von hinten weinend, es würde jetzt ganz plötzlich ganz schrecklich den großen Bruder vermissen. Trösten, Tabletten runterschlucken, wie ein Mantra wiederholen, dass es doch meistens viel besser ist als damals, als sie noch alle klein waren.
Ich gehe in die Gartenküche und will Frühstück machen. Hundeknurren von der Terasse - die Hunde kämpfen um den Badezimmervorleger, der aus irgendeinem Grund gerade unter dem Kirschbaum zerrissen wird.
Atmen.
Badezimmervorleger aus zwei Hundeschnäuzchen entfernen, weiter gehts mit Frühstück.
Wir haben kein Brot mehr. Warum haben wir kein Brot mehr? Nichts. Nichts zum Aufbacken, zum Auftauen, zum als-Notlösung-essen, nichts.
Atmen.
Kopfschmerztabletten wirken langsam.
Ich setze mich ins Auto und fahre zum Bäcker, hole die leckeren Brötchen, die es sonst nur ausnahmsweise gibt, weil sie so schweineteuer sind.
Wieder zurück begrüßt mich eine neue Pfütze in der Diele und zwei Hunde, die um einen Badezimmervorleger kämpfen (hallo?) und zwei Kinder, die etwas irritiert sind, weil das mit dem Brot noch nie vorkam.
Kinder aus dem Haus schubsen, Tierrunde. Alle Tiere rauslassen, durchzählen, Gesundheitszustand überprüfen und Tierarztliste im Kopf erstellen. Den Welpen aus dem Blumenbeet pflücken. Duschen. Pfütze wegwischen. Restliche Mülltüten aus dem Haus zusammensammeln und mit in die Mülltonnen nehmen, einkaufen fahren.
Auf dem Parkplatz kommt die ersehnte Nachricht vom Sohn, Land in Sicht! Sie legen gerade in Dover an. Das Handy scheint immerhin nicht über die Reling gefallen zu sein. Der kleine Kobold ist in England. Sehr viel inneres Seufzen. Jetzt ist es nur noch eine halbe Stunde bis aufs Universitätsgelände und dann werde ich wohl die nächste Woche nichts mehr von dem Sohn hören. Und das ist auch gut so.
Der Einkauf gleicht eher einem Spießrutenlaufen von Bekanntschaft zu Bekanntschaft - anscheinend haben alle gerade ein überwältigendes Mitteilungsbedürfnis und ich komme da gerade recht. Ich habe heute eindeutig die ganz falsche Einkaufszeit erwischt. Kurzer Informationsabgleich mit einer befreundeten Mutter, deren Kind ebenfalls mit auf Englandfahrt ist.
Wieder zuhause angekommen schleppe ich meine Beute die Treppe hoch (der Kiefer pocht, das Knie ist meckerig, der Kopf hat auch noch was zu sagen) und blicke über das Gartentor als erstes auf einen Hasen. Einen Hasen, der meine Lieblingsblumen frisst. Ich muss unbedingt herausfinden, wo die geheime Ausbruchsmöglichkeit ist, die anscheinend nur dieses eine Tier kennt. Der Hase verschwindet hinter der nächsten Hecke und ich begrüße die beiden Bärchen, die so tun, als wäre ich vier Tage weggewesen. Mindestens. Ich nehme ihnen den Badezimmervorleger wieder weg und wische eine Pfütze aus der Diele.
An mir rennt ein weißer Flauschball mit einer Rolle Panzerklebeband in der Schnute vorbei in den Garten. Ich renne hinterher. Es pocht. Ich schicke den großen Hund mit Befehl, mir entweder den kleinen Hund oder mein Panzerklebeband wiederzubringen in den Garten und lasse mich auf einen Stuhl sinken. Der kleine Braunbär, der mal ein Hund werden wollte, lässt mir die Rolle Klebeband in die Hände fallen und legt seinen schweren Kopf auf meinen Schoß. Empörtes Welpenfiepen im Hintergrund.
Ich erledige das Nötigste im Haushalt, da ruft es von vor dem Haus. Die Postbotin, die Angst vor Treppen und Hunden hat, schreit von draußen, sie traut sich nicht an den Briefkasten (der AUSSEN am Tor hängt). Ich gehe ihr die halbe Treppe entgegen, sie klammert sich ängstlich an das Geländer und wagt den Abstieg. Mein Mitgefühl wird heute von einer gewissen Entnervtheit überlagert und das mag ich an mir selber überhaupt nicht.
Post vom Ordnungsamt, bitte NOCH ein bisschen mehr Geld für den RIESIGEN gefährlichen Hund bezahlen, den ich mir da ins Haus geholt habe. Ich lasse die Hunde im Garten spielen und mache mich an die Buchhaltung. Die nächste Klassenfahrt will auch schon wieder bezahlt werden.
Das Gartentor geht quietschend auf und ich bin schon halb am Fenster mit dem Satz: "ACHTUNG! Die HUNDE!" (unser Paketbote mit Angst vor Hunden hat das heraushängbare Schild letztens übersehen und wurde plötzlich von beiden beschlabbert), aber es war die Kriegerprinzessin, die heute nur drei Stunden hatte, was mir total entfallen war. Fertig mit Schule - nächste Woche geht sie nur noch auf Klassenfahrt und dann sind Sommerferien.
Neben Bürokram bekomme ich Nachrichten von mehreren Eltern, dass sie ihre Kinder nicht erreichen können. Ich bin kurz froh, dass es früher keine Handys gab, aber meine Eltern hätten mir ja eh nicht hinterhertelefoniert. Also wäre es für mich egal gewesen, aber ich fand diejenigen unter uns schon sehr peinlich, die mit 18 auf Studienfahrt einmal am Abend aus einer Telefonzelle in der Toskana ihre Eltern anrufen mussten.
Irgendwann entscheide ich mich, mit der Kriegerprinzessin ein wenig Hecke und Bäume zu schneiden und zu häckseln. Der Mann kommt heute auch früh, also können wir endlich mal wieder einen Nachmittag gemeinsam im Garten arbeiten. Den Häcksler aus seinem Versteck gerollt, ich schneide, die Tochter häckselt. Wir holen den Welpen aus dem Verlängerungskabel, in dem er sich heillos verheddert hat.
Der Mann schreibt mir eine Nachricht, dass seine Tochter mal wieder in die Notaufnahme muss und er jetzt nach Hause kommt, um dann mit dem Auto ins Krankenhaus zu fahren. Ade, Gartennachmittag. Wir holen den Welpen wieder aus dem Verlängerungskabel und machen weiter. Ein Hase schießt durch den Garten, ein großer brauner Hund (deutlich langsamer, aber immer noch wahnsinnig schnell) rennt hinterher. Wir bringen die Hunde rein. Als wir einige Hecken und einen ganzen Baum gehäckselt haben, fangen wir Hasen ein und machen die vermutete Ausbruchsstelle noch unpassierbarer. Ich wische Pfützen aus der Diele. Der Mann wird bereits in der Maschinerie der Notaufnahme verwurstet und wandert mit dem ZusatzKind von Station zu Station.
Ich schreibe ein wenig an diesem Blogartikel und denke, das ist ja super Content für einen WMDEDGT-Eintrag, da ploppt im Ticker die Meldung hoch, dass ein Krankenhaus brennt. Genau das Krankenhaus, in dem der Mann sich gerade befindet. Super. So langsam reicht es jetzt für diesen Tag.
Ich schneide noch die Hecke zum Nachbarn, die langsam unseren Garten frisst, bespaße ein wenig das kleine Kind, das sich etwas vernachlässigt fühlt und außerdem den großen Bruder vermisst und falle dann in einen Stuhl.
Der Mann kommt abends nach 5 Stunden Notaufnahme wegen gar nichts (Ach, doch, wegen Drama, Baby!) wieder nach Hause und wirkt leicht ungehalten. Verständlich. Ich koche Abendbrot für die Kinder, danach bringen wir alle Tiere wieder in die dafür vorgesehenen Ställe und füttern sie. Der Garten müsste noch gegossen werden, das lagere ich heute aber auf den Mann aus. Der Kiefer schmerzt ohne Ende und Hinlegen hätte mir heute gut getan. Egal, bald geschafft.
Ich nehme den Hunden noch diverse Kinderschuhe, Dreckwäsche und andere Dinge weg, der Mann wischt weitere Pfützen weg, ich freue mich sehr über eine seltsame Nachricht von meinem Sohn aus England, über einen lieben Menschen, der plötzlich in meinen Telefonkontakten auftaucht und denke noch ein wenig über ein Thema nach, das mich heute Morgen kalt erwischt hat, nicht loslässt und zu dem ich noch so viel zu sagen (schreiben) hätte. Aber nicht mehr heute, heute hat genug wehgetan.
Jetzt gibt es gleich Sofa mit den Lieblingsbärchen und dem Mann, ein wenig Netflix und morgen wird ein besserer Tag.