Dünnes Eis

Die Nerven liegen blank.

Ich bin jedes nur denkbare Szenario im Kopf hundertfach durchgegangen.
Gleichzeitig werden die Erinnerungslücken im Alltag größer.

Irgendetwas ist da massiv getriggert worden und ich komme weder dem Mechanismus noch der entsprechenden Programmierung wirklich näher.
Wie ich es drehe und wende, ich komme nicht heran und auch wenn ich diese großen schwarzen Löcher in meiner Erinnerung kenne, vor denen ich jederzeit stehen kann und die ich weder anfassen, umrunden noch irgendwie deren Inhalt erahnen kann, ist das momentan sehr unbefriedigend.
Manchmal platzt eines auf, das ist aber meistens noch verheerender.

Es gibt einen Grund für unerreichbare Erinnerungen.
Und wann immer ich die die verstörende Erfahrung gemacht habe, dass ein weiterer Teil meiner Vergangenheit plötzlich für mich erreichbar war (die Therapeuten haben dann voller Euphorie davon gesprochen, dass ich nun bereit sei, diese Dinge zu verarbeiten; was mal mehr, mal weniger schlecht funktioniert, wenn man vor Entsetzen entweder nicht mehr handlungsfähig ist oder dieses mit einer weiteren Abspaltung einhergeht), war das rückblickend betrachtet immer etwas, auf das ich gerne verzichtet hätte.
Eine Dinge bleiben besser im Verborgenen und vielleicht ist das gut für mich.
Aber wahrscheinlich nicht für den Teil von mir, der sie erlebt hat.
Ich weiß, dass dieser Aspekt (und gerade die fehlenden Monate und Jahre) einer tickenden Zeitbombe ähnelt, die sich irgendwo mitten in meinem Gehirn befindet und die jederzeit losgehen kann.
Oder eben auch nicht.
Wenn ich Glück habe, bleibt es mir erspart.
Wenn ich Pech habe, auch.

Die jetzige Situation, die auch aus anderen Gründen ohnehin angespannt ist, sorgt für einen holprigen Alltag. Manchmal ist es plötzlich 12 Uhr und ich weiß nicht, was ich bis dahin getan habe, seit die Kinder das Haus verließen. Manchmal wache ich morgens auf und es fühlt sich nicht an, als wäre ich die ganze Zeit im Bett gewesen.
Es ist lange her, dass ich so zerfasert war.
Ich habe Strategien, mich oben zu halten, aber die meisten davon sind schmerzhaft und mit hohem Energieaufwand verbunden.
Ich mache drei Kreuze, wenn sich diese Situation geklärt hat.

Kati 28.08.2020, 11.00| (2/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Der süße Teufelskreis

Ich bin ein extrem gewalttätiger Mensch.
Schon immer gewesen.
Ich kann hart, schnell und vernichtend zuschlagen und das ist nicht metaphorisch gemeint.

Vor 18 Jahren trat ungeplant ein Wesen in meine Welt, das alles auf den Kopf stellte, was ich bis dahin kannte. Liebe, bis dahin ein theoretisches Konstrukt, das ich maximal als Deckmäntelchen für missbräuchliche Beziehungen benutzt habe, bekam plötzlich einen Namen und ein Gesicht. Im Augenblick ihrer Geburt wusste ich, dass ich dieses kleine Wesen mit meinem Leben schützen würde.
Auch gegen mich selber.

Da wir nicht in einem rosaroten Film leben, war meine Aggressivität leider nicht einfach weg. Sie ist ein Teil von mir und wird es immer sein. Aber dieser Teil meiner Seele, der in meinem Kind plötzlich außerhalb meiner Selbst existierte, trat in einen unerbittlichen Wettstreit mit mir selbst. Ich wusste, ich würde niemals die Hand gegen diesen Menschen erheben können. Und das habe ich auch nie, gegen keines meiner Kinder.
Das heißt nicht, dass ich niemals das Bedürfnis hatte, es zu tun.
Im Gegenteil. Vermutlich wäre das auch zu einfach gewesen.

Meine Kinder verstehen es meisterhaft, mich innerhalb kürzester Zeit zur Weißglut zu treiben. Wie alle anderen Kinder testen sie Grenzen und pieken instinktiv dort, wo es wehtut. Gewalt ist meine erlernte und früher immer erfolgreiche Antwort, aber keine Lösung innerhalb dieser Mutter-Kind-Beziehungen.

Gleichwohl lodert in mir ein Jähzorn, der ununterbrochenen Fokus und Disziplin benötigt, um nicht unkontrolliert aus mir herauszubrechen. Was als Strategie bleibt, ist eine gewisse innere Distanz, sehr viel schwarzer Humor und ... essen.

Ich habe auch aus anderen Gründen kein normales Verhältnis zur Nahrungsaufnahme, aber hier ist das Prinzip schlicht und einfach: Zucker macht glücklich, viel Zucker macht sehr glücklich und betäubt vor allem den schreienden Hass, der in mir wohnt.

Aus vielen gesundheitlichen Gründen komme ich nun an meine Grenzen, was diesen Lösungsansatz angeht.

Also habe ich beschlossen, dass ich inzwischen über genug Abstand, Fähigkeiten und ausreichend alte Kinder verfüge, dass ich aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann. Ich kann mich aus Situationen herausnehmen, ohne ein hilfloses Kind im Stich zu lassen. Ich kann auch räumlich auf Abstand gehen, ohne dass gleich eine Katastrophe passiert. Ich muss nicht mehr essen, um präsent zu bleiben und dabei niemanden zu verletzen.
Wie alle jahrzehntelang erprobten und für gut befundenen Mechanismen ist auch dieser hier nur schwer zu bekämpfen.

Mein eigenes Arbeitszimmer war ein guter Schritt in diese Richtung.
Ich kann mich in einen ganz eigenen Raum zurückziehen, wenn es mir zuviel wird.
Dort kann ich durchatmen, Abstand gewinnen und mich fokussieren.

Ich habe elementaren Hunger auf mehr als nur Zucker und das ist nach all den Jahren unter gedämpfter Wahrnehmung schwer auszuhalten.
Mein Körper macht das hervorragend, mein Geist kämpft.
Jeden Tag, jeden Moment.

Die Gier nach echter körperlicher Konfrontation, wie ich sie immer geliebt habe, geifert an manchen Tagen fast unerträglich nach einem Opfer.

Ich kann das aushalten.

Und ich werde das aushalten.

Kati 26.08.2020, 15.00| (2/2) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Eiertanz

Innerlich schreiend im Kreis rennen ist etwas, das ich höllisch gut kann.
Die letzten Tage waren ziemlich schlimm in dieser Hinsicht, aber inzwischen habe ich mich soweit sortiert, dass ich fast so etwas wie gespannt bin, was jetzt kommt. Ich habe alle kryptischen Nachrichten entschlüsselt, alles von dem, was nach dem Senden sofort wieder gelöscht wurde, zumindest geistig abgespeichert und der Mann hat Urlaub, damit ich nicht alleine gehen muss, wenn Zeit und Ort übermittelt werden.
Funkstille jetzt. Ruhe. Vor dem Sturm? 

Vielleicht liege ich total falsch, aber ich glaube, zumindest die ungefähre Richtung habe ich. Vor meinem inneren Auge ziehen so viele aufgerührte Erinnerungen vorbei, dass ich mich im Alltag durch massives Hintergrundrauschen bewege. Tausend Eindrücke, Momente, Fragmente schwirren in meinem Kopf herum und ich taste mich wie durch ein Minenfeld an den Dissoziationsauslösern vorbei.

Das Einzige, das ich tatsächlich nicht brauchen kann, ist der Wechsel zu Jemandem, den ich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen habe.

Kati 25.08.2020, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Feuer!

Der übereifrige Rauchmelder, der heute Nacht um 02:30 Uhr mal Probealarm auslöste, hat mir einige Flashbacks beschert. Das ist der Gesamtsituation gerade nicht zuträglich.

Und auch, wenn ich natürlich sofort im Hier und Jetzt bin - 60 Sekunden haben wir Zeit: Hund aus Schlafzimmerbox lassen, Kinder beim Namen laut rufen, der Nase einen Moment Zeit geben, sich zu orientieren, den Rauchmelder ausfindig machen, nebenher anziehen und sich währenddessen klar und deutlich mit dem Mann absprechen – so ist doch nach wie vor meine Konditionierung so stark, dass nebenher das Szenario einer Parallelzeit abläuft.

Die Alarme, mit denen ich in meiner Kindheit nachts aus dem Schlaf gerissen wurde, waren ganz unterschiedlich. Feuer, Angriff, Flucht.
In der Sekunde, in der man die Augen aufschlägt, hat das Gehirn schon unendlich viele Informationen verarbeitet.

Griff mein Vater an, um meine Reflexe zu testen? War es Feueralarm? Welcher Weg war offen? Musste ich das Feuer löschen oder wieder übers Dach in den Garten zum Treffpunkt? Wie lautete die Aufgabe? Musste ich auf dem Weg noch Gegenstände mitnehmen, um den Test zu bestehen?
Das alles erforderte vor allem Entscheidungen in Sekundenbruchteilen, etwas, das ich auch heute noch sehr gut kann.

Nichtsdestotrotz ist Feuer eines meiner größten Katastrophenszenarien.
Ich bin in brennenden Räumen gewesen und kenne den Moment kurz vor dem Ersticken zu gut.
Ich kenne Brandwunden und ich kenne ihren beißenden Schmerz, der sich mit nichts anderem vergleichen lässt.

Ich fühle mich nach der Nacht heute entsprechend gerädert, auch wenn gar nichts passiert ist.
Diese Erinnerungen zehren stark an meinen Kräften, die ich momentan für ganz andere Dinge bräuchte.

Kati 24.08.2020, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Wahl

Je tiefer der Morast wird, je unebener der Weg, je höher die Gipfel, desto mehr Worte braucht es, die Welt zu bändigen. Der Text als formbares Element in einer unformbar wogenden Mischung aus Hilflosigkeit, Erinnerung, Erfahrung, Fähigkeiten und Chaos. Der Alltag als Erdung, jede Pause als Sog in den reißenden Strudel der eigenen Gedanken.

Die Erkenntnis ist der entscheidende erste Schritt. Hier werden meine Programmierungen aufgerufen, hier triggert die Konditionierung. Ich bin wieder das dressierte Äffchen, der Pawlowsche Hund einer Kindheit, in der alles darauf ausgerichtet war, so viel Fähigkeiten, so viel Erfahrungen, so viel Wissen, so viel Funktionalität wie nur irgend möglich zu erreichen.

Mein unperfektes und langweiliges heutiges Leben, das allem entspricht, was ich niemals werden sollte, ermöglicht mir den Schritt zurück und den Blick auf mich selber. Ich kann und darf einfach innehalten und mir die Situation ansehen. Muss mich nicht von Adrenalin überschwemmen lassen, muss nicht funktionieren, muss nicht springen, nur weil das Stöckchen da ist.

Ich habe die Wahl, ob ich zu diesem Treffen gehe. Kann mich frei entscheiden. Muss mich weder an Regeln, die ich nicht selber aufgestellt habe, halten, noch überhaupt irgendetwas tun, was mir nicht gut tut. Muss den Text nicht entschlüsseln, kann das Geheimnis dort lassen, wo es gerade ist und kann auch entscheiden, dass mich das alles überhaupt nicht interessiert.

Und wenn ich gehe, dann nicht allein, wie gefordert.

Ich bin nämlich nicht mehr allein auf dieser Welt.
Ich habe den mächtigsten Wächter der Welt an meiner Seite.
Den einen Menschen, der alles gesehen hat und alles wissen darf.

Ich bin nicht mehr alleine.

Kati 22.08.2020, 08.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Das gibts nur in Filmen

Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal jemanden, mit dem ich vorher am Tisch saß, in den Nachrichten wiedererkannte.
Ich denke, das muss so Mitte der 80er Jahre gewesen sein.
Natürlich habe ich diese Menschen verwechselt.
Manchmal nicht genau hingesehen, mir das eingebildet oder war wahlweise einfach nur ein dummes Kind, das keine Ahnung hatte.

Ich verstummte zuhause schnell und vertraute mich irgendwann Jahre später meiner besten Freundin an, als wir im Geschichts- und Politikunterricht auch über aktuelles Zeitgeschehen sprachen.
Sie hat mich ausgelacht und mir versichert, dass ich ja immer so unterhaltsam und originell sei. Das war mein Stempel und meine Schublade. Ein Phantast.
Charmant, ja. Charismatisch, ja. Unterhaltsam, sicherlich. Aber leider irre.

Die Bezeichnung Lügner wurde in meiner Familie inflationär benutzt, ohne das Wort jemals auch nur auszusprechen. Ich habe gelogen, wenn ich auf einen Missstand aufmerksam machte, ich habe natürlich auch in der Schule gelogen, als ich meinem Vertrauenslehrer anvertraute, ich würde zuhause bedroht, mein Vater sei ein Soziopath, ein schwerer Alkoholiker und gewalttätig, komische Menschen kämen in unser Haus und meine Eltern stünden kurz vor der Scheidung, weil mein Vater mal wieder eine Affäre hatte.

Der erfolgreiche Mann im Anzug, den jeder kannte und der Unmengen an Geld an die Schule spendete, brauchte sich niemals rechtfertigen. Es reichte, wenn er eine Augenbraue hochzog und fragte, ob ich wieder Geschichten erzählen würde. Ja, natürlich, nickte der Vertrauenslehrer dann mit einem verständigen Blick zu ihm und einem mitleidigen Blick auf mich.

An den meisten Tagen wusste ich selbst nicht mehr, ob ich mir nicht vielleicht doch alles nur einbilden würde.
Das prägt ein Kind.
Und das eigene Selbstbild.
Ich sah Menschen in Fernsehen und Zeitungen, mit denen ich in Restaurants gegessen habe und die mir übers Haar gestrichen hatten.
Ich erklärte mir selber, ich dürfte meiner Wahrnehmung niemals trauen, egal was passiert.
Ich hielt mich für verrückt und hoffte einfach nur, nicht irgendwann Amok zu laufen, weil die Stimme in meinem Kopf so laut das Gegenteil behauptete. 

Es war nicht die Erkenntnis. Es waren mehrere.
Die rasiermesserscharfen Shuriken, mit denen mir als Vorschulkind von der Kollegin meines Vaters das Werfen beigebracht wurde und die sie mir als Geschenk überreichte, bevor sie verschwand und ich sie nie wiedersah.
Die Waffen in unserem Haus.
Der eine Sommer, in dem ich plötzlich aus der Schule genommen wurde, weil unsere gesamte Familie dabei sein musste, als in Stockholm ein wichtiges Treffen war. Wie ich in Stockholm entweder in einem Hotel voller Männer mit Anzügen herumlief oder in Begleitung von 5 gigantischen Männern und meiner Mutter durch die Stockholmer Innenstadt bummelte.
Die Treffen bei uns zuhause, die dunklen Limousinen, die vor unserem Haus parkten.
Die vielen, unendlich vielen Männer in Anzügen, die mir Sätze in ihren Sprachen beibrachten.
Die Tracht Prügel, als ich vergaß, meinen Blick gesenkt zu halten und mich vor unserem Gast zu verbeugen und stattdessen mit hocherhobenem Kinn meine Hand ausstreckte und mich mit meinem Namen vorstellte. 
Mutig., sagte er damals in seiner Sprache und ich verstand das erst, als ich ihn als Erwachsene in der Zeitung wiedersah, weil man seine Leiche gefunden hatte.

Mein Leben kam mir immer wie ein 100.000-Teile Puzzle vor, das ich ohne jede Vorlage zusammensetzen muss.
Ich habe inzwischen einen großen Teil geschafft, aber davon, das Bild zu erkennen, bin ich noch unendlich weit entfernt.

Kati 21.08.2020, 08.00| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

4 Jahre Ludwig

Mein geliebter Bär.
Mein Lulu.
Mein Kuschelbaby.
Mein Koloss.
Mein Ludwig. 

Du kamst in einer Zeit des Umbruchs zu uns.
Wir hatten gerade die Zusatzkinder aufgenommen und ich klammerte mich wie eine Ertrinkende an einen Hoffnungszweig, der mir etwas inneren Frieden schenken sollte. Nicht lange vorher haben wir uns schweren Herzens gegen Hundehaltung entschieden, obwohl wir bereits einen Welpen in Aussicht hatten.
Aber nach Monaten im neuen Familiengefüge und mitten in einem größeren Nervenzusammenbruch war klar, dass ich eine Insel im Alltag brauche.

Und dann habe ich dein Foto gesehen. Du warst viel älter, als ich eigentlich wollte, aber es war etwas an dir, das mich nicht mehr losließ.
Also wagten wir den Sprung.

Und dann war unser Zusammenwachsen eine einzige Enttäuschung.
Stress pur.
Wo ich kuscheln wollte, wolltest du beißen, wo ich Ruhe brauchte, sprangst du vehement auf mir herum, hast meine Sachen zerstört, alles vollgepinkelt, warst garstig und unbelehrbar und eine Katastrophe auf vier Pfoten.
Ich habe lange Zeit gebraucht, um zu verstehen, dass das das Einzige war, das mich durch diese Zeit gebracht hat.
Dein Anspruch an mich.
Für dich bin ich das ganze Universum.
Und wannimmer ich weinend auf dem Boden saß und nicht mehr konnte, warst du da.
Vor niemandem sonst konnte ich zusammenbrechen. Nur vor dir.
Und du warst da. Immer. 
Deine feuchte Nase, dein unbelehrbarer Dickkopf, deine Aufmerksamkeit, deine Liebe.
Deine Liebe... 

Ich war vor dir schon Hundehalter, aber diese Seelenverwandtschaft zu einem Tier, die hast erst du mir gezeigt.
Diese Momente, in denen wir in der Arbeit zu einer Einheit zusammenschrumpfen, du mit deinen Antennen für jede meiner Stimmungen, ahnst Befehle oft früher als ich sie geben kann, doch wartest immer geduldig auf den einen Moment, in dem ich dich frei gebe.

Du bist ein Berserker mit einer Zärtlichkeit, die mir den Atem raubt.
Raues Spiel ist dir nur mit mir erlaubt und ich weiß, ich sehe nur einen winzigen Ausblick auf deine wahren Kraft, selbst wenn ich einige Male sehr ungünstig zwischen deinen Kiefern hing.
Es dauert nur den Bruchteil einer Sekunde, bis du dir gewahr wirst, dass du aus Versehen mich mit erwischt hast. 

Deine Liebe zu mir ist unendlich. Meine zu dir auch. 

Du hast lange gebraucht, um erwachsen zu werden und durftest dir Zeit lassen.
Nun, mit 4 Jahren bist du ein unglaublich reifer Hund.
Einer, der nachdenkt, bevor er handelt.
Der auch aus Gründen Gehorsam verweigern kann.
Ich schätze es sehr an dir, dass du nichts versuchst, was du dir selber nicht zutraust.

Du hast einen sehr wachen Beschützerinstinkt.
Ich habe dich einmal im Angriff gesehen und mir gefror das Blut in den Adern.
Einmal nur.
Jemand kam einfach auf unser Grundstück, hat mich und dich überrascht und du bist in vollem Lauf von der obersten Treppenstufe mit maximaler Geschwindigkeit auf diesen Mann zugeschossen.
Es war meine Stimme, die dich gestoppt hat.
Mitten im Sprung hast du abgebrochen.
Gebleckte Zähne, alle Haare aufgerichtet. 

Du bist 40 Kilo pure Gewalt.
Und eine Seele voller Hingabe.
Zu mir. 

Ich weiß nicht, womit ich einen Hund wie dich in meinem Leben verdient habe, aber ich bin jeden Tag unendlich demütig und dankbar für dich.

Ich liebe dich.
So sehr.

Herzlichen Glückwunsch zum 4. Geburtstag, mein kleiner Braunbär, der du mal ein Hund werden wolltest.

Kati 20.08.2020, 12.00| (4/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: auf den Hund gekommen

Schulbesuch, Corona-Edition

Als der kleine Sohn gestern über den Hausaufgaben saß, lief ihm die Nase.

Kein Schnupfen, kein Husten, keine gelbe oder grüne Verfärbung, kein gar nichts, aber ihm lief halt die Nase.
In den Merkblättern der verschiedenen Schulen ist das ein Ausschlusskriterium für den Schulbesuch, bis sich "ein klareres Bild" ergibt. 

Also blieb der Sohn heute zuhause, wir meldeten eine "laufende Nase" an die Schule mit einem Direktor, der sehr klar äußert, sich von der Politik völlig alleingelassen zu fühlen und haben nun die Anweisung, ihn 24 Stunden zu beobachten und wenn dann weder Symptomveränderungen oder neue Symptome oder Fieber hinzukommen, geht er wieder hin.
Als Dauer-HNO-Patient aufgrund seiner Hörschädigung und einiger Probleme in diesem Bereich, die durchaus Symptomen wie Erkältungen ähneln können, sehe ich unruhigen Zeiten entgegen.
Denn weder bringe ich das Kind nun bei jedem Schnott-Tropfen zum Arzt noch vermute ich gleich eine Infektion dahinter, aber im Sinne eines funktionierenden gesellschaftlichen Gesamtschutzes muss er sicherheitshalber zuhause bleiben.
Und wenn es nur die 24 Stunden zur weiteren Beobachtung sind.

Aber was ist, wenn er tatsächlich eine Infektion hat und die sich dann auch tatsächlich nur in einer laufenden Nase äußert?
Dann schicke ich ihn nach 24 Stunden trotzdem zur Schule, denn die Kriterien sind ja: Wenn es nicht schlimmer wird, Husten oder Fieber dazukommt, ist das Kind schulfähig und verpflichtet, wieder die Schule zu besuchen.
Im asymptomatischen Krankheitsverlauf haben wir dann ein krankes Kind in die Schule geschickt, das alle anderen anstecken könnte.

Was ist die Alternative?
Jedes Mal einen Test zu machen?
Wir verlassen das Haus nur zum Einkaufen, für Arzttermine und Arbeit, halten Abstand, treffen niemanden, tragen Mundnasenbedeckung.
Das steht in keinem Verhältnis zu irgendetwas.
Andererseits haben wir viele Kinder in vielen unterschiedlichen Schulen, die jeden Tag Kontakt mit insgesamt hunderten anderer Menschen haben. 

Ist das das "Restrisiko"?

Ich bin etwas ratlos.

Kati 19.08.2020, 12.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag

Émile

Wir haben unerwartet ein neues tierisches Familienmitglied bekommen - einen Angorahasen namens Émile. Ursprünglich war er nur in Urlaubsbetreuung hier, wohnt nun aber dauerhaft bei uns.
Émile bringt als Angoratier ein paar neue Features mit, die ich bislang nicht kenne.
Wir haben mit der Tierärztin erst einmal diskutiert, ob eine Freilandhaltung mit diesem Fell und ohne wärmende Unterwolle überhaupt das Richtige sein kann, aber die Voraussetzungen sind hier alle so, dass wir ihn wohl auch gut über den Winter bekommen.
Das Fell ist leider so ein Thema für sich.

Émile kam hier völlig verfilzt mit Entzündungen unter der Filzmatte und unterernährt an.
Nach fünf Wochen Päppeln haben wir eine kleine Schicht über die Knochen bekommen und gestern wurde er dann ganz nackig gemacht.
Die größten Klumpen an Po und Rücken hatte ich in stundenlanger Feinarbeit schon vorher entfernt, aber gerade an Bauch, in den Beugen und an den Geschlechtsteilen brauchten wir eine leichte Narkose, um ihn zu befreien. Ab jetzt ist dann regelmäßiges Kämmen angesagt. Er muss noch geimpft und kastriert werden und dann stehen wir vor der Entscheidung, mit wem er vergesellschaftet wird.

Er ist ein sehr schlecht sozialisiertes Tier, schon eineinhalb Jahre alt und ich bin mir nicht sicher, ob er in der Großgruppe bestehen kann, die von drei sehr dominanten und sehr schweren Häsinnen geführt wird.
Jede von ihnen bringt in etwa das Sechsfache seines Gewichts auf die Waage.
Einem ernsthaften Kampf - weil er sich zum Beispiel nicht eindeutig unterordnet oder missverständliche Signale sendet - wird er nicht gewachsen sein. Ich bin ganz froh, dass er nach der Kastration noch 8 Wochen alleine leben muss, in denen ich ihn weiter beobachten und er zu Kräften kommen kann.
Sein Verhalten hat sich mit jedem Gramm Gewichtszunahme deutlich verändert und er ist inzwischen ein fröhliches Kerlchen, das sich sehr bemüht. Jedes Imponiergehabe ist ihm fremd. Er bedankt sich für alles mit "Fell"pflege und sein Beißen ist eher ein sachtes Zwicken mit den Zähnen.
An sich gute Eigenschaften, um sich in eine bestehende Gruppe einzufügen.
Vielleicht wird das was.

Kati 18.08.2020, 12.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: tierisch

5 Monate

Am 12. März haben wir beschlossen, die Kinder nicht mehr zur Schule gehen zu lassen, am 13. kam für NRW die Mitteilung über die Schulschließungen ab dem 16. März. 

Das ist nun fünf Monate her.
Fünf Monate Homeschooling mit allen Kindern, Sommerferien, Isolation hier zuhause, um sich nicht zu infizieren oder andere anzustecken.
Und heute? 
Heute ist der erste Tag im neuen Alltag.

Corona ist vielleicht nicht vorbei, aber der Mensch gewöhnt sich ja an alles. Leider.
Eine unserer größten Stärken verwandelt sich hier in ein unkalkulierbares Risiko.
Urlaubsreisen, Treffen, mangelnde Hygiene, Rundreisen, Sorglosigkeit, Freizeitparks und nicht einmal mehr das Bemühen, es so aussehen zu lassen, als würde man sich noch Gedanken machen.
Ich weiß nicht, wo das hinführt und wie es weitergeht.
Wie wir als Welt aus dieser Aufgabe hervorgehen.
Was das mit uns macht.
Ich habe nicht das Gefühl, dass wir unterm Strich allzu gut dabei wegkommen.

Und habe ich vor Monaten noch gesagt, wenn diese Krankheit deutlich gefährlicher, tödlicher, stigmatisierender wäre, würden die Menschen anders handeln, glaube ich auch daran inzwischen nicht mehr. Der Großteil von uns ist ja schon völlig unfähig, diese Situation ununterbrochen im Bewusstsein zu halten. 

Die Kinder können nicht mehr aufgrund von Risikopersonen im Haushalt dauerhaft vom Präsenzunterricht befreit werden, also gehen sie zur Schule.
Mit Maskenpflicht im Unterricht. Ich bin gespannt auf die ersten Berichte. 

Meine persönlichen Fäden entwirren sich nur langsam. Ich bin alleine und merke, dass ich freier atmen kann, aber ich bin wie gelähmt. Weiß gar nicht, was ich als Erstes anfassen soll, es sind so viele Dinge und nur so wenig Zeit für diese zwei, vier, sechs? Stunden bis hitzefrei und wer weiß, wie lange die Kinder gehen, wann das Erste mal hustet, Schnupfen hat, 24 Stunden zuhause bleiben muss, wieder schwänzt... er ist noch so unkalkulierbar, dieser neue Alltag.

Vielleicht konzentriere ich mich mal auf das Wesentliche und backe erst mal einen Geburtstagskuchen für morgen.

Kati 12.08.2020, 09.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Alltag



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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