Von der Freiheit

Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben beinhaltet das Recht auf einen selbstbestimmten Tod.

Auch während der Veränderung vieler moralischer Wertvorstellungen im Laufe meines Lebens blieb dieser Punkt für mich persönlich ethisch immer unangreifbar.

Der frei gewählte Tod ist ein Menschenrecht.
Menschen zu zwingen, auf entwürdigende oder schmerzhafte Art und Weise ihr Leben zu beenden, ist einfach nur grausam.

Wir brauchen Möglichkeiten, Menschen für diese Entscheidung ein sicheres Hilfsmittel an die Hand zu geben. Letzten Endes kann und darf diese Entscheidung nur ein Mensch für sich selber treffen. Seit ich klein war, habe ich die verschiedensten Gründe für diesen Weg gehört. Angst vor dem Altsein oder vor Schmerzen. Auch die Variante, auf dem gefühlten Höhepunkt des Lebens gehen zu wollen, war dabei. Meistens drehte es sich allerdings um das Gefühl, die letzten Jahre seines Lebens nicht in Hilflosigkeit und Abhängigkeit von anderen verbringen zu wollen.

Ich habe an meiner Großmutter schmerzlich erfahren müssen, wie qualvoll sterben sein kann. Über Jahre hinweg. Mit dem offen kommunizierten und ausdauernden Wunsch, bitte doch einfach nur endlich sterben zu wollen.

Wie oft hat sie mich gebeten, ihr zu helfen und ich konnte nicht.
Ich konnte einfach nicht, weil es hier keine Möglichkeit gibt, jemandem diesen Wunsch zu erfüllen, ohne sich selber eines schweren Verbrechens schuldig zu machen.
In Absprache mit dem Arzt habe ich ihr dabei geholfen, diesen Weg hier bei uns im geschützen Rahmen selber zu gehen. Er hat ihr genau erklärt, welche Tabletten für das Fortbestehen ihres Lebens unerlässlich sind und dass niemand sie zwingen kann, diese Tabletten zu nehmen.
Wir haben sie auf diesem Weg begleitet und es war eines der schwersten Dinge, die ich jemals ertragen musste.
Der langsame und qualvolle Verfall, der nur mit Unmengen an Schmerzmitteln erträglich wurde.

Mein Vater hat immer klar kommuniziert, dass er dieses Leben beenden wird, wenn er zu krank ist, um alleine das Leben seiner Wahl zu führen.

Ich kenne die genauen Kriterien für diese Entscheidung und ich weiß, wie er sich das Leben nehmen wird. Ich habe keine Angst davor, weil ich weiß, dass dies der letzte Akt und Ausdruck dessen ist, was er für richtig hält. Der Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmung. Es ist egal, wie ich darüber denke. Es ist nicht mein Leben.
Er lebt alleine, abgeschieden von jeder Zivilisation und Krebs ist ein Thema.
Inzwischen auch ohne ärztliche Begleitung, weil er die ablehnt.
Ich weiß, dass jeder Austausch der Letzte sein kann.

Es macht mich achtsam - und unglaublich dankbar, diese Chance mit ihm noch bekommen zu haben.

Kati 23.09.2020, 12.00| (1/1) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Vom Leben und Sterben

Ein unmoralisches Angebot

Ich habe in meinem Leben viele außergewöhnliche Angebote abgelehnt.
Es gab da allerdings diesen älteren französischen Geschäftsmann, der oft bei uns zu Gast war. Ein charismatischer Mann mit dem Ego eines ruhigen, tiefen Sees.
Alles an ihm strahlte Souveränität, Erfahrung und Männlichkeit aus.

Er plauderte nett mit mir am Telefon, flirtete charmant, kam pünktlich, war höflich und während er mit den ein bis zehn gebuchten Damen verschwand, unterhielt ich mich ebenso nett mit seinen Bodyguards, die bei mir meistens eine Cola tranken, Zigarette rauchten und eine sympathische Schwäche für den neuesten Klatsch aus Königshäusern hatten.

Wie immer ging nach drei Stunden die Tür auf und er sah genauso perfekt aus wie bei seiner Ankunft. Frisch geduscht, mit einem Geruch wie Himmel und Erde gleichzeitig.
An diesem Tag trat er dicht vor mich, sah mir tief in die Augen und flüsterte: Ich würde Ihnen alles bezahlen, was Sie verlangen, wenn ich mit Ihnen schlafen dürfte.

Ich lächelte. Dieser französische Akzent würde mich irgendwann noch mal umbringen. Nein, sagte ich. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals hätte widerstehen können, wenn er mir kein Geld geboten hätte. Ich vermute nicht. Aber so funktionierte seine Welt eben. Ein Telefonat, heute Abend? Nur Sie und ich? Ich lasse Ihnen jetzt das Gleiche da, was ich für mein amusement eben bezahlt habe und dafür erzählen Sie mir heute Abend eine Gute-Nacht-Geschichte? Nichts... Eindeutiges. Nur Ihre Stimme.
Ich habe das Geld genommen. Es war ein Monatsverdienst. Und es war tatsächlich eine Gute-Nacht-Geschichte. Er war immer der perfekte Gentleman. 

Mit der Zeit wurden wir vertrauter miteinander. Wir telefonierten mehrmals die Woche, zusätzlich zu seinen Besuchen im Etablissement. Und nach einigen Monaten offenbarte er mir seinen drängendsten Wunsch: Er wollte mit mir zu Abend essen, ein Candlelight Dinner. Er würde seinen Privatkoch herbringen lassen. Und um uns herum würden Menschen Sex haben. Die Summe, die er mir dafür bot, war genug Geld, um für ein Jahr meinen Lebensstandard zu halten.

Das berufliche Leben dieser Zeit ließ mich in eine ganz andere Welt eintauchen als die, in der ich meinen Alltag lebte und ich genoss jede Sekunde davon. Alles war so lebendig, so intensiv, so sünd- und lasterhaft, eine Parallelwelt neben meiner. Ich hatte die Verbindung dieser beiden Welten durch unsere Telefonate bereits zugelassen, zögerte nun aber, den nächsten Schritt zu gehen. Die immer höher werdende Summe und meine Abenteuerlust ließen mich schließlich ja sagen. 

Und so saß ich am mit Abstand seltsamsten Abend meines Lebens in voller Abendgarderobe, hochgesteckten Haaren, Diamanten um den Hals und einem Glas Champagner in der Hand an einem Tisch, aß das Essen eines Sternekochs, hörte eine Klaviersonate von Mozart und unterhielt mich angeregt mit dem attraktivsten Mann, den ich bis dahin kennengelernt hatte über charmante Belanglosigkeiten, während um uns herum Menschen miteinander Sex hatten.

Als ich diesem Leben den Rücken kehrte, bedauerte ich den Abschied von ihm am meisten.

Kati 21.09.2020, 10.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

Drahtseil

Einmal im Monat klingelt hier das Telefon mit einer Nummer, die mir Schauer über den Rücken jagt. Zwei oder dreimal im Jahr nehme ich dieses Gespräch an.
Heute war so ein Tag. 

Ein Mensch mit meiner schieren Anzahl an Persönlichkeitsstörungen und Diagnosen findet außerhalb von Psychiatrien selten jemanden, der einen ähnlich langen Weg hatte. Schon gar niemanden, der ein auch nur annähernd vergleichbares Leben gewählt hat wie ich.

Sie sind so ein Mensch. 

Ein Gleicher, im schlechtesten Sinne. Und es triggert schon ihre Stimme alle Anteile nach oben. Auch die, die immer unter Verschluss sind. Die Morbiden, die Hässlichen, die Gewalttätigen, die Psychopathischen, die Sadistischen.
Wir haben keine Zeit für Floskeln.
Eine Stunde, maximal eineinhalb Stunden wird auch dieses Gespräch wieder dauern.
Dann bin ich zu erschöpft von der Energie, die es meiner Seele abverlangt, alle Wächter auszuschalten. 

Ich melde mich. Wir schweigen. Wir wissen. Wir sammeln uns. Zwischen uns darf alles ausgesprochen werden. Auch jene Worte jenseits jeden Anstands, jeder Moral und jeder Ethik. Die Welt schrumpft auf den zähen Morast unserer Verbindung. Sie bewegt sich auch im Alltag in einer destruktiven und sadistischen Welt und ist deutlich stärker als ich, einige Dinge auszuhalten. Ich weiß, dass sie jedes Licht in sich aufsaugt, das ich ihr zugestehe. Ich weiß, ich bin gleich leer. Ausgebrannt. Zu Tode erschöpft. Aber auch für einen Moment eins, wo sonst nur 1000 Scherben sind.

Erzähl mir, wie es dir geht. 

Und ich rede. Zerstörerisch. Alles vernichtend. Da ist keine Liebe. Nur Hass. Nur Schwärze. Worte, die niemals sonst über meine Lippen kämen. Es ist roh, es tut weh. Und sie treffen auf einen Resonanzboden. Da ist kein Urteil, keine Wertung, kein Rat, nur Verstärkung. Sie nimmt mich unbarmherzig auseinander, zwingt mich, meine Beweggründe zu analysieren, reißt mir die wohlformulierende Fratze des Alltags vom Herzen und sticht dort hinein, wo es wehtut. Ich sehe mich nie so klar wie in diesen Momenten. Das kann keine Supervision, keine Therapie, keine Freundschaft, keine Liebe, das kann nur ein Gleicher. 

Meine Kräfte schwinden. Der schlimmste Teil kommt erst noch. Ich höre von der Gewalt in ihren Beziehungen. Zu Männern, Kindern, Frauen. Sich selbst gegenüber. Ich habe keine Möglichkeit zur Dissoziation mehr und jedes Bild wird von mir durchlebt, erlebt. Bin Täter, Opfer, Kind, Mutter, erlebe und tue Unaussprechliches. 
Wir sind eins in diesen Momenten und ich spüre immer deutlicher, dass ich die Verbindung beenden muss, wenn ich wieder zurückwill. 

Ich habe mich vor unendlich langer Zeit für die andere Seite entschieden. 
Sie will dort nicht hin. 
Sie ist ich, ich bin sie, auf unterschiedlichen Ausprägungen eines Lebens, das uns das Furchtbarste angetan hat, das ein Mensch ertragen muss. 
Sie braucht die Dunkelheit wie ich das Licht brauche. Wenn wir uns in der Mitte treffen, erhaschen wir einen Blick auf die jeweils andere Seite unserer Entscheidungen. 

Ich kann nicht mehr
- Ist gut. 
Ich liebe dich, sage ich. Und meine uns alle. 
- Ich liebe dich auch, sagt sie. Und meint uns alle. 
Bis zum nächsten Mal, flüstere ich. 
-In zwanzig Jahren werden wir lachen, flüstert sie zurück. 
Ja, sage ich. 

Und dann legen wir auf.

Kati 18.09.2020, 11.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos

18

Meine Tochter.

Ich habe dich mein ganzes Leben lang ersehnt.
Dich geliebt, lange bevor du geboren wurdest.

Heute wirst du 18.
Volljährig. 

Du bist der schönste Mensch auf dieser Welt, dein Lachen klingt wie Musik in meinen Ohren, dein Herz ist groß und voller Neugier auf und voller Liebe für dieses Leben.

Dein erster Name für deinen Körper bedeutet Anmut – und du tanzt tatsächlich voller Eleganz und Anmut durch dein Leben, willst es zu deinem Beruf machen. 

Dein zweiter Name für deinen Geist bedeutet Weisheit – du vereinst unendlich viel Wissen, Gaben und Talente in dir, besitzt einen hellwachen und scharfen Verstand mit einer großen Portion Mitgefühl.

Dein dritter Name für deine Seele bedeutet Stein, der brennt – und er könnte passender nicht sein. In dir lodert ein Feuer, ganz tief und es brennt hell und heiß, aber nicht alles verzehrend. Niemandem ist es möglich, diese Flamme zu ersticken, vergiss das nicht. 

Was ich dir wünsche? 

Flieg hoch - so hoch du kannst.
Hör immer auf deinen Bauch.
Bereue nichts.


Kati 04.09.2020, 08.20| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Briefe

Die Luft ist raus

Das Adrenalin auch. Was mache ich nun mit meinen Erkenntnissen? Erstmal in Ruhe durch meine Gedanken bewegen.

Das Bild, das gestern gezeichnet wurde, wirft noch mal ein ganz anderes Licht auf so Vieles, das ich bislang klar erkannt zu haben glaubte.

Ich halte Dinge meiner Großeltern in Händen, für die ich unglaublich dankbar bin. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Dinge, die mit ihnen zu tun haben und die an schicksalhafte Fügungen erinnern, immer zu Zeiten kommen, in denen ich sie tatsächlich brauche, sie mir guttun und mir helfen, nicht durchzudrehen.

Ich kämpfe noch etwas mit der persönlichen Begegnung. Jemand, der meinen Fluchtimpuls auslöst, betritt diesen Ort normalerweise nicht. Es war mit dem Schild in Form des Mannes auszuhalten, aber nicht schön.

So oder so. Es ist vorbei.
Ob der Aufruhr in mir nun wieder in der Versenkung verschwinden darf, werde ich sehen.
Jetzt erst mal durchatmen und nicht mehr 24 Stunden am Tag in Adrenalin baden.
Das ist ja auch schon mal was.

Kati 01.09.2020, 18.00| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Gedankenchaos



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

woanders:







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