Einmal im Monat klingelt hier das Telefon mit einer Nummer, die mir Schauer über den Rücken jagt. Zwei oder dreimal im Jahr nehme ich dieses Gespräch an.
Heute war so ein Tag.
Ein Mensch mit meiner schieren Anzahl an Persönlichkeitsstörungen und Diagnosen findet außerhalb von Psychiatrien selten jemanden, der einen ähnlich langen Weg hatte. Schon gar niemanden, der ein auch nur annähernd vergleichbares Leben gewählt hat wie ich.
Sie sind so ein Mensch.
Ein Gleicher, im schlechtesten Sinne. Und es triggert schon ihre Stimme alle Anteile nach oben. Auch die, die immer unter Verschluss sind. Die Morbiden, die Hässlichen, die Gewalttätigen, die Psychopathischen, die Sadistischen.
Wir haben keine Zeit für Floskeln.
Eine Stunde, maximal eineinhalb Stunden wird auch dieses Gespräch wieder dauern.
Dann bin ich zu erschöpft von der Energie, die es meiner Seele abverlangt, alle Wächter auszuschalten.
Ich melde mich. Wir schweigen. Wir wissen. Wir sammeln uns. Zwischen uns darf alles ausgesprochen werden. Auch jene Worte jenseits jeden Anstands, jeder Moral und jeder Ethik. Die Welt schrumpft auf den zähen Morast unserer Verbindung. Sie bewegt sich auch im Alltag in einer destruktiven und sadistischen Welt und ist deutlich stärker als ich, einige Dinge auszuhalten. Ich weiß, dass sie jedes Licht in sich aufsaugt, das ich ihr zugestehe. Ich weiß, ich bin gleich leer. Ausgebrannt. Zu Tode erschöpft. Aber auch für einen Moment eins, wo sonst nur 1000 Scherben sind.
Erzähl mir, wie es dir geht.
Und ich rede. Zerstörerisch. Alles vernichtend. Da ist keine Liebe. Nur Hass. Nur Schwärze. Worte, die niemals sonst über meine Lippen kämen. Es ist roh, es tut weh. Und sie treffen auf einen Resonanzboden. Da ist kein Urteil, keine Wertung, kein Rat, nur Verstärkung. Sie nimmt mich unbarmherzig auseinander, zwingt mich, meine Beweggründe zu analysieren, reißt mir die wohlformulierende Fratze des Alltags vom Herzen und sticht dort hinein, wo es wehtut. Ich sehe mich nie so klar wie in diesen Momenten. Das kann keine Supervision, keine Therapie, keine Freundschaft, keine Liebe, das kann nur ein Gleicher.
Meine Kräfte schwinden. Der schlimmste Teil kommt erst noch. Ich höre von der Gewalt in ihren Beziehungen. Zu Männern, Kindern, Frauen. Sich selbst gegenüber. Ich habe keine Möglichkeit zur Dissoziation mehr und jedes Bild wird von mir durchlebt, erlebt. Bin Täter, Opfer, Kind, Mutter, erlebe und tue Unaussprechliches.
Wir sind eins in diesen Momenten und ich spüre immer deutlicher, dass ich die Verbindung beenden muss, wenn ich wieder zurückwill.
Ich habe mich vor unendlich langer Zeit für die andere Seite entschieden.
Sie will dort nicht hin.
Sie ist ich, ich bin sie, auf unterschiedlichen Ausprägungen eines Lebens, das uns das Furchtbarste angetan hat, das ein Mensch ertragen muss.
Sie braucht die Dunkelheit wie ich das Licht brauche. Wenn wir uns in der Mitte treffen, erhaschen wir einen Blick auf die jeweils andere Seite unserer Entscheidungen.
Ich kann nicht mehr.
- Ist gut.
Ich liebe dich, sage ich. Und meine uns alle.
- Ich liebe dich auch, sagt sie. Und meint uns alle.
Bis zum nächsten Mal, flüstere ich.
-In zwanzig Jahren werden wir lachen, flüstert sie zurück.
Ja, sage ich.
Und dann legen wir auf.